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Barbara Thalheim im Kino Luchs in Halle Barbara Thalheim im Kino Luchs in Halle: Lieder zu Filmen und Bildern

Von Andreas Montag 06.02.2016, 15:10
Barbara Thalheim und ihre Band sind am 11. Februar mit ihrem aktuellen Programm „ALtTag“ im Luchs-Kino in Halle zu sehen.
Barbara Thalheim und ihre Band sind am 11. Februar mit ihrem aktuellen Programm „ALtTag“ im Luchs-Kino in Halle zu sehen. Lasbandidas Lizenz

Halle (Saale)/Berlin - Barbara Thalheim kommt wieder einmal wieder, am 9. Februar gastiert sie im Volkshaus Jena, einen Tag darauf im UT Connewitz in Leipzig. Und am 11. Februar in Halles Kino Luchs am Zoo - auf Tour mit ihrem aktuellen Programm „AltTag“, in dem sie Lieder zu Filmen und Bildern singt. Oder anders herum: Man bekommt Bilder und Filme zu sehen, die mit ihren Liedern reden. Multimedial heißt das heutzutage. Und es klingt spannend.

Eigentlich war die Thalheim immer da. Oder niemals fort. Jedenfalls für jene im Osten nicht, die wach waren und sich interessierten für sich selbst und ihr sonderbares Land DDR, das so klein war und doch bei den Großen mitspielen wollte. Dessen Funktionseliten so böse sein konnten und so verbacken waren in ihrem eigenen, zähen Glaubenssaft aus Rechthaberei, Unbelehrbarkeit und Anmaßung. Und dessen Volk oft so mutlos ergeben wirkte, dass man es im Herbst 1989 gar nicht wiederzuerkennen glaubte.

„Ich hatte die Wahl: Vergessen - oder das Baby vorzeigen“

Barbara Thalheim war, wie viele Künstler und Intellektuelle, Teil dieses Staates und stand doch auch neben ihm. Sie war das Kind eines kommunistischen Vaters, der für seine Überzeugung von den Nazis in ein Konzentrationslager gesperrt worden war. Klar, dass die begabte junge Frau Karriere machte. Aber bald wurde man auch im Westen auf sie aufmerksam. Sie sang erstaunliche, starke Lieder, die Mut machten und Menschen die Herzen öffneten. Auch in der eingezäunten deutschen bürokratischen Republik gab es das Recht und die Chance auf aufrechten Gang und Individualität. Man musste es sich doch wenigstens zu nehmen versuchen! Darauf konnte man bei einem erwärmenden Konzertabend mit der Thalheim schon kommen.

Barbara Thalheim wurde 1947 in Leipzig geboren. In ihrer Biografie beschreibt die Sängerin die frühen Jahre mit „Schulwechselmarathon, Schulabbruch“. Ab 1965 folgten diverse Jobs in Berlin - unter anderem arbeitete sie als Botin am Deutschen Theater, Inspizienten-Assistentin und Kulturhaus-Mitarbeiterin.

Von 1967 bis 1970 war sie Mitglied des Oktoberklubs („Sag mir, wo du stehst“), des wohl bekanntesten gemischten Agitations-Chores der DDR, dem unter anderem auch Tamara Danz und Aurora Lacasa ihren beruflichen Start verdankten.

1973 erhielt Barbara Thalheim den in der DDR unvermeidlich notwendigen Berufsausweis als Sängerin, seitdem ist sie, von kurzen Unterbrechungen abgesehen, mit wechselnden Ensembles, aber auch solistisch unterwegs.

1996 wurde eine zeitweilige inoffizielle Stasi-Tätigkeit Thalheims öffentlich, zu der sie sich selbst bekannt hatte. Bis zu ihrem Ausschluss 1980 gehörte sie der SED an. Die Sängerin hat zwei Kinder und lebt in Berlin.

Dann hieß es: Sie hört auf. 1995 ging sie auf große Abschiedstournee. Ende der 90er Jahre wurde sie sehr krank, „da hat es mir die Beine weggehauen“, sagt sie. Totgesagt war sie damals, „man hat mir noch sechs Monate gegeben“.

In dieser Zeit, da sie mit Blick auf die ärztliche Prognose nun also einen Schlussstrich für sich selber hätte ziehen sollen, entstanden 20 neue Lieder. „Ich hatte die Wahl: Vergessen - oder das Baby vorzeigen“, sagt Barbara Thalheim und lacht. Sie ist auf poetische Weise direkt und nennt die Dinge gern beim Namen. In ihren Chansons, im Gespräch.

Natürlich hat sie sich dafür entschieden, die Lieder nicht zu vergessen. Also gab es dann auch wieder Konzerte, irgendwie lief es weiter. „Das war auch ein Punkt der Gesundung“, sagt sie heute.

Denken und Singen und Dreinreden

Ein paar Jahre später, 2011, starb Jean Pacalet, der großartige Akkordeonist und Komponist, Thalheims enger Freund und ständiger Begleiter seit 1993. Da wollte sie endgültig aufhören. Aus Trauer, und weil sie dachte, ohne Jean würde es nicht weitergehen. Da war die 1947 in Leipzig geborene Sängerin schon über die 60. „Ich bin ja in Rente“, sagt Thalheim eher trotzig als sachlich. Sie nimmt diesen Zustand nicht als Schicksal an, in das man sich gefälligst zu fügen hätte.

Alter bemisst sich eben nicht nur nach Jahren, sondern auch nach der Haltung. Sie könne sich nicht vorstellen, ohne das zu sein, wofür sie leidenschaftlich brennt: Denken und Singen und Dreinreden. Und man will ihr die bald sieben Jahrzehnte tatsächlich nicht glauben, wenn man ihre Stimme und ihre klaren Ansagen hört.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie es ohne Jean funktionierte und wie eine ehemalige Stasi-Mitarbeiterin mit ihrer Vergangenheit aufräumt.

Die Musiker, mit denen sie unterwegs war und ist, vergleichsweise junge Burschen, setzten denn auch nach: Ob sie es nicht ohne Jean versuchen wollten? Der war allerdings, neben der Thalheim, das Zentralgestirn in diesem musikalischen Kosmos gewesen.

Sie versuchten es. Es war eine Heidenarbeit, die Stücke ohne Akkordeon zu arrangieren. „Als ob man einen fertigen Roman von der ersten in die dritte Person umschreiben müsste“, sagt die Sängerin. Aber es ging. Seit 2012 sind sie in der neuen Besetzung unterwegs. „Es tut mir gut“, sagt Barbara Thalheim. Obwohl sie auf Ruhm nicht mehr hoffe. Eine kleine, lässliche Eitelkeit.

Immerhin hat sie das Altern, das ja nicht Wegstellen und Ausschließen bedeutet, zum Thema gemacht. Melancholie ist natürlich dabei, aber garantiert keine Larmoyanz. Auch Jugendschelte sei von ihr nicht zu erwarten, beugt Thalheim vor. Und bestimmt nicht der Versuch, die neuen Alten zu den wirklichen Helden hochzujazzen. Dafür hat die Sängerin zu viel Humor. Und einen klaren Verstand.

„Eine Verjüngungskur“

Rund 40 Leute waren an dem Projekt beteiligt, aber keine Sponsoren, kein Geld von Vater Staat. Das heißt, es lief, wie so oft in diesen Tagen, auf Selbstausbeutung hinaus. Und ohne das Netzwerk von Freunden wäre es nicht gegangen. Ute Mahler zum Beispiel, berühmte Fotografin von der Agentur Ostkreuz, hat Bilder beigesteuert, die in einer aus der Zeit gefallenen Kellerwohnung in Berlin-Mitte gehängt und gefilmt worden sind. Barbara Thalheim ist begeistert von dem Verfremdungseffekt, auch wenn Ute Mahler selbst zunächst nicht recht überzeugt von der „Bearbeitung“ ihrer Fotos war.

Die Arbeit an dem Programm nennt die Sängerin „eine Verjüngungskur“. Aber sie räumt auch ein, sich schon Gedanken darüber zu machen, „wie die nächsten zehn Jahre verlaufen - wenn man sie noch hat“. „AltTag“ eben, wie eine Freundin von ihr, eine Ärztin, ihr Leben nach dem Berufsleben genannt hat. Damit war die Idee geboren - um nach vorn zu sehen.

Und zurück? In die DDR, auch zu den alten Stasi-Geschichten, die ihr 1996 vorgehalten wurden? 1972 hatte Thalheim bei den Genossen unterschrieben, 1978 entließen sie die Sängerin aus dem Zuträgerdienst. Zwei Jahre später wurde sie wegen politischer Aufmüpfigkeit aus der SED ausgeschlossen.

Der Vergangenheit gestellt

„Weg ist das nicht“, sagt sie, „die Blessuren bleiben“. Und dass damals jene, „die am wenigsten darüber wussten“, am meisten darüber geredet hätten. Thalheim hat sich der Vergangenheit gestellt und ihre Geschichte öffentlich gemacht, wozu nur die allerwenigsten der ehemaligen Inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter den Mut fanden. Sie hat dazu den Verdacht aushalten müssen, sich mit ihrer Opferakte, die es auch gibt, quasi reinwaschen zu wollen. So hat die DDR noch Jahre nach ihrem Verschwinden das Leben der Menschen mitbestimmt. Das Geschehene wird nicht ungeschehen, wenn man es verschweigt - aber auch das Reden darüber vermag nicht das Vergangene, sondern nur das Künftige zu verändern - bestenfalls.

„Es gibt keine Mauern mehr, die man noch bauen könnte“, sagt Barbara Thalheim über den Glauben vieler Menschen, das Ankommen von Flüchtlingen durch Grenzen zu stoppen. Schwierige Weltlage, Frau Thalheim? „Noch mehr Kompliziertheit kann ich nicht aushalten“, sagt sie trocken. Und dass sie Respekt vor Angela Merkel hat, obwohl sie keine Parteigängerin der CDU ist. Das geht dieser Tage wohl vielen so, während andere sich von ihr abwenden. Auch Thalheims Fazit wird mancher unterschreiben können: „Wir leben im sozial regierenden Existentialismus“. (mz)

Barbara Thalheim war, wie viele Künstler und Intellektuelle, Teil dieses Staates und stand doch auch neben ihm.
Barbara Thalheim war, wie viele Künstler und Intellektuelle, Teil dieses Staates und stand doch auch neben ihm.
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