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Windkraft- und Solar-Anlagen in Mitteldeutschland Windkraft- und Solar-Anlagen in Mitteldeutschland: Millionen Euro für null Strom

Von Steffen Höhne und Jan Schumann 21.01.2016, 07:26
Immer neue und größere Windkraftanlagen werden errichtet. Das führt in Zeiten geringer Stromabnahme zu gefährlichen Situationen im Netz.
Immer neue und größere Windkraftanlagen werden errichtet. Das führt in Zeiten geringer Stromabnahme zu gefährlichen Situationen im Netz. dpa Lizenz

Halle (Saale) - Es ist eines der stärksten Sturmtiefs der vergangenen Jahre gewesen. „Niklas“ deckte 2015 Hunderte von Hausdächern ab und kippte Lkw-Anhänger um. Auch zahlreiche Stromleitungen wurden in Mitteldeutschland beschädigt. Die Techniker des Stromnetzbetreibers Mitnetz waren pausenlos im Einsatz, um defekte Leitungen wegen umgestürzter Bäume zu reparieren. Doch auch in der zentralen Leitstelle in Taucha bei Leipzig kamen die Mitnetz-Mitarbeiter ins Schwitzen. Um die Netzstabilität zu gewährleisten, mussten ständig Windkraft-Anlagen abgeschaltet werden.

Anlagen werden heruntergefahren

Übersteigt die Einspeisung den Verbrauch, kann das zu Netzüberlastungen führen. Zunächst werden dann konventionelle Anlagen wie Gaskraftwerke und Müllverbrennungsanlagen heruntergefahren. Reicht das nicht aus, kommt aus Taucha das Signal, dass über Funk auch erneuerbare Energien wie Wind- und Solarparks abgeschaltet werden. Das passiert inzwischen allerdings nicht nur bei Stürmen wie „Niklas“, sondern immer häufiger auch an ganz normalen Tagen. „534-mal griffen wir im vergangenen Jahr ein, um eine Überlastung des Netzes zu vermeiden“, sagte Mitnetz-Geschäftsführer Adolf Schweer am Mittwoch der MZ. Im Jahr davor waren nur 188 Eingriffe nötig. Die Maßnahmen seien eigentlich für Notsituationen gedacht, würden aber immer mehr zur Regel. Am häufigsten waren 2015 die Netzregionen Brandenburg mit 344 Eingriffen und Sachsen-Anhalt mit 148 Eingriffen betroffen. Nach Angaben von Schweer ist die Situation bei anderen Netzbetreibern in Ostdeutschland ähnlich.

Das Problem: Wind- und Solarparks werden schneller errichtet als die dafür benötigten Netze. In Sachsen-Anhalt wurden laut Umweltministerium im vergangenen Jahr 77 neue Windkraft-Anlagen errichtet. Das ist ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr. Während des Baubooms 2002 waren es sogar 337 neue Anlagen. Doch in puncto Windkraftleistung insgesamt liegt Sachsen-Anhalt bundesweit inzwischen auf Platz vier.

Windräder müssen an Netz angeschlossen werden

Die Stromnetzbetreiber sind gesetzlich verpflichtet jedes neue Windrad ans Netz anzuschließen, auch wenn dieses am Limit arbeitet. „Wir investieren dreistellige Millionensummen in den Netzausbau, kommen aber nicht nach“, so Schweer. Der Kauf von Grundstücken, die Planungen und die Beteiligung der Anwohner entlang der Trassen würden viel Zeit in Anspruch nehmen.

Die Netzeingriffe führten dazu, dass 2015 im Netzgebiet von Mitnetz insgesamt 175 Gigawattstrom eingespeister Energien aus Ökostrom-Anlagen abgeregelt wurden. Das entspricht 1,4 Prozent der erzeugten erneuerbaren Energien. Die Betreiber von Windkraftanlagen erhalten den nicht abgenommenen Strom dennoch vergütet. Die Verbraucher zahlen dies über ihre Stromrechnung mit. Laut Schweer summiert sich dies allein bei Mitnetz auf einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag. Kurz: Für null Strom werden Millionen Euro gezahlt.

Lösung für Problem

Wird sich die Situation in den kommenden Jahren weiter zuspitzen? Das Problem des Stromüberschusses ließe sich durch Stromspeicher lösen. Als ausgereifte und wirtschaftliche Systeme stehen bisher allerdings nur Pumpspeicherwerke zur Verfügung. Andere Systeme wie Altbatterie-Speicher sind erst im Aufbau.

Ein wenig Entspannung erhofft sich Schweer durch ein neues Umspannwerk in Jessen (Landkreis Wittenberg). Damit stehe künftig ein weiterer Verknüpfungspunkt zum Höchstspannungsnetz von 50 Hertz zur Verfügung. Eine neue Trasse von 50 Hertz in Thüringen werde zudem mehr Strom in bayerische Industriezentren transportieren. Schweer setzt auch auf eine Überarbeitung des Energiewirtschaftsgesetzes. Damit soll geregelt werden, dass die Strom-Einspeisung in Spitzenzeiten, etwa wenn sehr viel Wind bläst, gekappt werden kann. Das sollen bis zu drei Prozent der Jahresleistung sein. „Das Netz braucht dann nicht auf auf die maximale Einspeiseleistung ausgelegt werden“, sagt Schweer. Das führe zu 30 Prozent weniger Netzausbau. Am Grundproblem des Stromüberschusses an windstarken Tagen ändert dies aber nichts. (mz)