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HFC-Profi in Lara HFC-Profi in Lara: Selim Aydemir ist zu Besuch in der Heimat

Von Daniel George 16.01.2016, 13:59
Selim Aydemir kehrte diesmal für die MZ zurück nach Lara, einem Stadtteil von Antalya. Dort spielte er in einem türkischen Café mit alten Bekannten Karten - und hatte sichtlich Spaß dabei.
Selim Aydemir kehrte diesmal für die MZ zurück nach Lara, einem Stadtteil von Antalya. Dort spielte er in einem türkischen Café mit alten Bekannten Karten - und hatte sichtlich Spaß dabei. Daniel George Lizenz

Lara - Selim Aydemir könnte weinen. Da steht der Profi des Halleschen FC vor der Tür, den Schlüssel in der einen Hand. Und am Telefon in der anderen ruft sein Vater laut auf türkisch, auch seine Mutter schaltet sich aus dem fernen Deutschland im Hintergrund immer wieder ein. Doch Selim Aydemir steht vor verschlossener Tür. In Lara, Antalya. Vor dem Ferienhaus der Familie.

Aydemir, der türkischstämmige Profi, hatte seinen einzigen freien Nachmittag während des Trainingslagers in Belek geopfert, um der MZ das Ferienhaus seiner Familie zu zeigen. Die Straßen, in denen er bereits als Kind kickte. Den Strand, an dem er noch heute mit seinen Brüdern joggen und angeln geht. Doch nun das: Das Schloss klemmt. Kein Reinkommen. Hilfe muss her. Vater Aydemir instruiert per Telefon, ein hilfsbereiter Nachbar probiert es mit Zange und Stein. „Ich glaube, das wird nichts mehr“, sagt Aydemir schon enttäuscht. Doch nach 20 Minuten voller Ruckeln und Stoßen öffnet sich die Tür doch noch.

Traurige Mama

Und so kann eine Reise zu den Wurzeln von Selim Aydemir beginnen. Der 25 Jahre alte Mittelfeldspieler weilt mit dem HFC zum Winter-Trainingslager in Belek, etwa 20 Autominuten vom Ferienhaus seiner Familie entfernt. Er wusste nicht, ob Zeit für einen Besuch bleiben würde. Aber die Schlüssel waren vorsichtshalber im Gepäck. „Mein Vater war vor zwei Wochen schon hier und hat 300 Kilogramm Orangen in unserem Garten gepflückt“, erzählt Aydemir, während er vor den mindestens drei Meter hohen Orangenbäumen steht. „200 Kilo hat er an Supermärkte verkauft, 20 Kilo hat er mit nach Deutschland gebracht.“ Der Rest lagert in einer kleinen Kammer des vierstöckigen Hauses. „Ich bringe heute jedem aus dem Team eine Orange zum Abendessen mit“, sagt der Fußballer.

Die Gastfreundschaft hier in Lara ist überwältigend. Während die Tür sich gegen das Öffnen sperrt, bereitet die Nachbarin gegenüber, eine langjährige Freundin der Familie, türkischen Tee und landestypische Leckereien.

Mindestens einmal pro Jahr ist Selim Aydemir mit seiner Familie zum Urlaub hier. „Ich bekomme immer wieder Gänsehaut. Das ist sehr emotional für mich.“ Nun sitzt er vor einem Teller voller Käse, Teigtaschen und Sesamgebäck auf der großen Dachterrasse und gewährt Einblicke wie nie zuvor.

Selim war erst 13 Jahre alt, als ihn sein Weg ins Jugendinternat von Werder Bremen führte. „Das war damals eine Riesenehre für mich“, sagt er, „aber das erste halbe Jahr war hart. Ich hatte großes Heimweh.“ Seiner Mutter tat es in der Seele weh, dass einer ihrer drei Söhne - Selim Aydemir hat auch noch zwei Schwestern - ihr Nest so früh verließ. „Meine Mama weiß bis heute nicht, wie sie das zulassen konnte. Sie wollte das eigentlich nicht.“

Doch inzwischen ist sie stolz. Stolz, dass ihr Sohn es geschafft hat, seinen Traum vom Profifußball zu verwirklichen. Und ihn aufrecht zu erhalten. Trotz zahlreicher Verletzungen in den vergangenen Jahren. Oberschenkelprobleme, Leistenbeschwerden oder Mittelfußbruch. Selim Aydemir musste kämpfen.

Selims Brüder Samet und Semih, beide sind drei Jahre älter als er, kicken selbst auch - beim SVE Comet Kiel in der Verbandsliga. Sein Vater spielte früher in der Türkei. „Fußball“, sagt Selim Aydemir, „liegt uns im Blut.“ Die Familie hält zusammen. So oft es geht, schaut sich der Drittliga-Profi die Partien seiner Brüder an, seine Eltern und Geschwister besuchen ihn regelmäßig im Erdgas Sportpark. Das war schon immer so. Als er in Braunschweig vor sieben Jahren sein erstes Spiel im bezahlten Fußball absolvierte zum Beispiel.

Seine Mutter versorgte Team und Trainerstab damals mit türkischen Leckereien. „Irgendwann habe ich ihr gesagt, dass sie das lieber lassen soll“, erzählt Aydemir, „meine Mitspieler konnten ja denken, dass das eine Bestechung für den Trainer ist.“

Konzentration auf den Sport

Selim Aydemir wirkt heute sehr fokussiert auf den Sport. Eigentlich hätte er sich an seinem freien Nachmittag im Teamhotel ausgeruht, weil Trainer Stefan Böger das besser gefallen hätte. Aber dieser Ausflug zu seinen Wurzeln gibt ihm Kraft. Der Ausflug zum Strand von Lara zum Beispiel. Das Mittelmeer hat ihm gefehlt. „Fast so schön wie die Saale“, scherzt der gebürtige Kieler.

Schlitzohriger Straßenkicker

An seinem Armband glänzt ein kleiner silberner Anker. Ein Symbol, denn: „Ich liebe das Wasser.“ Mit seinen Brüdern geht er an diesem Strand immer joggen, manchmal auch angeln, mit Stock und Schnur, wie damals als Kinder. Selim Aydemir ist glücklich, wenn er über seine türkischen Wurzeln spricht. Also: Kommt irgendwann der Wechsel in die Türkei? „Man weiß nie, was die Zeit bringt“, sagt der 25-Jährige. „Ich kann es mir auf jeden Fall vorstellen.“ Aber dann wäre er viel weiter von seiner in Kiel lebenden Familie entfernt. „Meine Eltern sind Rentner. Ich glaube, sie würden mitkommen.“

Aber daran denkt Selim Aydemir gerade gar nicht. Er genießt einfach. Den Spaziergang am Strand und das Schlendern über die Straßen von Lara. Aydemir, das Schlitzohr - dieser Ruf eilt ihm fußballerisch voraus. Er hat das Kicken auf der Straße gelernt. Auf dem Vinetaplatz in Kiel-Gaarden, einem „Arbeiterviertel“, wo „ich immer der kleinste und der jüngste war, wenn mich meine Brüder mitgenommen haben. Ich musste mich durchbeißen. Das hat mich geprägt.“

So wie die Straßen von Lara. (mz)