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Interview Interview: "Den Kampf für Frauenrechte müssen auch die Männer führen"

Von Joachim Frank 09.01.2016, 16:32

Frau Kaddor, besorgt Sie das Frauenbild muslimischer Einwanderer?

Das muss es. Aber nicht nur das Frauen-, sondern noch mehr das Männerbild, das von Machismo und Patriarchalismus bestimmt und mindestens so problematisch ist. Ich kann aber nicht sagen, wie viele sich davon leiten lassen.

Doch wohl die meisten Männer, die in einer von solchen Bildern geprägten Kultur groß geworden sind.

Ja, aber ich bin dagegen, gleich die Schublade zuzuschieben. Ich billige jedem Menschen die Fähigkeit zu, seine Rollenbilder kritisch zu hinterfragen und auch zu verändern. Nach den Erfahrungen mit Integration in den vergangenen Jahrzehnten bin ich zuversichtlich, dass die Macht der patriarchalischen Muster schwindet und sich die Geschlechterrollen den Standards unserer Gesellschaft angleichen – angleichen müssen.

So lange können wir kaum warten.

Natürlich nicht. Deshalb ist die Vermittlung unserer Grundrechte und Normen die entscheidende Aufgabe der Integration. Eine wesentliche Antwort auf die Frage, „Was ist deutsch?“, lautet: dass Männer und Frauen die gleichen Rechte haben und dass Verstöße gegen die Selbstbestimmung von Frauen geahndet werden. Das muss aber nicht nur gelehrt, sondern auch praktiziert werden. Daher mein doppeltes Votum: Null Toleranz für sexuelle Übergriffe! Und: Positives Vorleben von Gleichberechtigung.

Was verbirgt sich hinter dieser Forderung?

Frauenrechte einzufordern ist nicht nur Sache der Frauen. Wenn muslimische Schüler meine Autorität als weibliche Lehrkraft anzweifeln, genügt es nicht, dass ich darauf poche. Meine männlichen Kollegen müssen zeigen, dass in dieser Frage kein Blatt Papier zwischen die Männer und die Frauen im Lehrerkollegium passt.

Tun die Männer zu wenig für die Frauenrechte?

Ja, und gerade von der muslimischen Community wünsche ich mir, dass der Kampf für Gleichberechtigung noch viel stärker von den Männern getragen wird.

Die damit gewissermaßen sich selbst und ein traditionelles Rollenverständnis bekämpfen müssten.

Genau. Was war denn die Emanzipationsbewegung anderes als die Überwindung althergebrachter Bilder in den Köpfen der Männer? Die lang gepflegte Feindseligkeit, ja der Hass auf „die Emanzen“ ist der Beleg dafür, wie schwierig dieser Kampf war.

Es geht dabei ja auch um Anerkennung und Selbstwert. Wer die Freiheiten der westlichen Gesellschaft für „Verderbnis“ und „Verwahrlosung“ hält, kann sich mit abweichenden Prägungen sehr gut darüber erheben: Frauen, die nachts allein auf der Straße herumlaufen, verdienen dann halt keinen Respekt.

Diese Vorstellungen gibt es, ganz unbestreitbar. Aber noch einmal: Dagegen müssen Staat und Gesellschaft mit allen verfügbaren Sanktionen angehen. Das sind wir in allererster Linie den Opfern schuldig. Wir reden meines Erachtens einseitig über die Täter und deren Herkunft. Das Furchtbare, was Frauen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht widerfahren ist, wird aber zunächst nicht dadurch besser oder schlimmer, welche Nationalität der Täter hat.

Auf die kausale Verbindung zwischen sexuellen Übergriffen und der Zugehörigkeit mutmaßlicher Täter zum Islam reagieren Sie allergisch. Sehen Sie keine Verbindung zwischen Machismo und Mohammed, zwischen Testosteron und Religion?

Jedenfalls keine so simple. Wie kann man denn darauf kommen, dass sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung „muslimisch“ wären? Das ist einfach Unsinn. Hinzu kommt, dass die Täter von Köln nach derzeitigem Erkenntnisstand stark alkoholisiert waren, was nun garantiert unmuslimisch ist. Das hieße also: Beim Alkoholkonsum hätten die Männer eklatant gegen die Vorschriften des Islams verstoßen, um sich dann mit der Gewalt gegen Frauen als „brave Muslime“ zu verhalten? Das ist doch absurd!

Welche vernünftige Erklärung haben Sie parat?

Was am Hauptbahnhof in Köln passiert ist, hat vor allem mit der kulturell-ethnischen Prägung der Täter zu tun. Diese speist sich gewiss auch aus religiösen Quellen. Aber der Islam mit seinen Vorstellungen ist nicht die alleinige, vielleicht nicht einmal die vorrangige Quelle. Patriarchale Strukturen gibt es auch in Südamerika oder in Indien – beides keine Stammregionen des Islams. Die Probleme und Einflüsse der Sozialisation sind eben ein bisschen komplexer, als es uns bestimmte rechte Kräfte in Deutschland glauben machen möchten, die Angst vor dem Islam schüren und daraus politisch Kapital schlagen wollen.

Könnte eine aufgeklärte islamische Theologie, gelehrt in den Moscheegemeinden, die Lage verändern?

Ich bezweifle, dass der Einfluss der Moscheegemeinden so groß ist. Eine nicht zu unterschätzende Wirkung – letztendlich auch auf die Jugend – geht von Predigern aus den Herkunftsländern aus. Wenn sie dort Frauenverachtendes verkünden, dann darf man sich nicht wundern, dass solche „Lehren“ auch Eingang in deutsche Moscheen finden können. Das wäre mal eine Studie wert.

Was empfehlen Sie praktisch?

Wir brauchen in der muslimischen Community selbst den Willen und den Einsatz, reaktionäre, rückwärtsgewandte Ideologien und Bilder zurückzudrängen. Wir Muslime müssen für die Rechte und Normen eintreten, die unsere Gesellschaft ausmachen. Der Liberal-Islamische Bund tut das – gegen manche Anfeindungen, aber sehr wohl mit Bezug auf eine theologisch legitime, fortschrittliche Lektüre des Korans. Es ist die Rückständigkeit, es ist die Ignoranz bestimmter muslimischer Männer, die sich alledem verweigern – aus Bequemlichkeit und zur Wahrung ihres Status. Aber die Enthemmung alkoholisierter Männer, die zu Gewalt gegen Frauen führt, ist nun wirklich nicht allein das Problem von Muslimen.