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Nach Rückzug von Unesco-Welterbe-Bewerbung Nach Rückzug von Unesco-Welterbe-Bewerbung: Franckesche Stiftungen brauchen neue Ziele

Von günter kowa 09.01.2016, 09:54
Francke-Denkmal von 1828 im Hof der Stiftungen in Halle.
Francke-Denkmal von 1828 im Hof der Stiftungen in Halle. dpa Lizenz

Halle (Saale) - Es wird eine Weile dauern, bis an den Franckeschen Stiftungen wieder so etwas wie Normalität einkehrt, nun da die Welterbe-Träume (vorerst?) ausgeträumt sind. Der Betrieb lief, da man „hoch hinaus“ wollte, im „Kurs halten“-Modus, vom Waisenvater persönlich angezeigt. Kein Prominentenfoto, kein Gastredner, keine Kinderbilder ohne Francke-Gestus. Wo Francke drauf stand, war Welterbe drin, in Vorträgen, Führungen, Plakaten, Kunstaktionen, Theaterstücken, Hörspielen, Lichtinszenierungen, Feierstunden, Familienfesten – und zuletzt, am Höhepunkt, in der Ausstellung mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Antrag.

Auch wenn die Absage aus Paris eher einer Abfuhr gleichkam, in pauschalen Urteilen ohne ausführliche Begründung, so können Stiftungsdirektor Thomas Müller-Bahlke und seine Mitarbeiter zu Recht darauf verweisen, dass die Bemühungen dennoch ein Gewinn waren, in wissenschaftlicher, aber auch in öffentlichkeitswirksamer Hinsicht. „In Halle und der Region ist neues Interesse an den Stiftungen geweckt worden“, ist Müller-Bahlke überzeugt, und dafür müsste zumindest die allgegenwärtige Werbekampagne gesorgt haben.

Wie geht es weiter?

Allein, es stellt sich die Frage, was mit diesem Schub an Neugier und Wissbegierde anzufangen ist, da die Stiftungen nun weniger „hoch hinaus“ als wieder in die Breite wirken wollen. Sie sind erklärtermaßen ein „kultureller, wissenschaftlicher, pädagogischer und sozialer Kosmos“, mit einem christlichen Auftrag obendrein, im Sinne des Stifters, aber auf die Gegenwart bezogen. Wenn sich dieser Anspruch nicht auf die lokale und regionale Ebene beschränken will, dann braucht die Einrichtung eine lebendige Strahlkraft über ihre Schulstadt, Kindergärten und Museen hinaus.

Dessen war man sich in der Vergangenheit durchaus bewusst, also gibt es keinen Grund, nicht in neuer Form zum Beispiel an die „Antworten aus der Provinz“ und die „Jahresthemen“ anzuknüpfen. Die Anregungen dazu liegen in der Geschichte der Institution und den Schätzen ihrer Archive. Es ist möglich, von dort aus ins Gespräch zu kommen über und mit Russland, Nordamerika, Südindien, die Niederlande, Großbritannien, das Baltikum, Tschechien, Ungarn, Polen und Griechenland. Was einst aus missionarischem Antrieb in Gang kam, könnte heute einer zeitgemäßen Verständigung dienen, und muss sich nicht - wie bisher doch zum größten Teil - allein in wissenschaftlicher Arbeit erschöpfen.

Aber auch die hat jetzt vielleicht sogar noch mehr als vorher die Möglichkeit, den Franckeschen Stiftungen den Weg zum Welterbe zu ebnen, zum „Weltdokumentenerbe“ nämlich, treffend auch „Gedächtnis der Welt“ genannt. Sachsen-Anhalt ist bisher mit einigen Schriftzeugnissen der Reformation und mit der „Himmelsscheibe“ vertreten; und es ist schwer vorstellbar, dass sich in den Archiven der Franckeschen Stiftungen Gleichrangiges nicht finden lässt.

Worum sich die Franckeschen Stiftungen in Zukunft mehr bemühen müssen, lesen Sie auf Seite 2.

Schon in der Wahl des Werbemotivs offenbarte sich ein Zwiespalt

Andererseits muss man feststellen, dass ein wissenschaftlicher Beitrag auch immer noch zu leisten ist, um das Bild der Franckeschen Stiftungen in der breiten Öffentlichkeit von Mythen und auch Unkenntnis zu bereinigen. Die Forschung im Welterbe-Auftrag hat viel bislang Unbekanntes über die bau- und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge der Stiftungen als Bauwerk zusammen getragen. Doch wie viel weiß man wirklich über den Stifter, sein Werk und seine Wirkung? Oder wenn man es weiß, wie viel vermittelt man davon?

Schon in der Wahl des Werbemotivs offenbarte sich ein Zwiespalt. Nicht mit Blick auf die Unesco, deren wirkliche Gründe für die schroffe Ablehnung man bestenfalls vermuten kann. Wohl aber mit Blick auf das Publikum. Gottfried Schadows Denkmal des gottesfürchtigen Waisenvaters, der die armen Straßenkinder behütet, ist ein hoch stilisiertes Werk des 19. Jahrhunderts, eine Deutung von Franckes Werk aus dem Bemühen um seine Rechtfertigung: Noch zu Lebzeiten Franckes und bis ins 18. Jahrhundert hinein galten der Pietismus und dessen Anhänger als nicht gesellschaftsfähige Frömmler.

Auch Francke selbst wusste, warum er in den „Segensvollen Fußstapfen Gottes“, einer Propagandaschrift, fast so umfangreich wie der Welterbeantrag, wortreich erklärte, was seine Gründung bezweckte. Franckes Bildungsbegriff kannte die Förderung der Armen und brach dem „Realien“-Unterricht bahn, aber seine Schulen waren ständisch organisiert, sein Bildungsziel war die Frömmigkeit.

Unsanft sind die Stiftungen auf dem Boden der Tatsachen gelandet, doch auch von dort sieht man den Horizont. Umso besser, wenn die Kräfte nun nicht mehr in einer Sache allein gebunden sind. Die dennoch, das möchte man anmerken im Hinblick auf die viel beschworene Internationalität der Franckeschen Stiftungen, auch eigenartig betriebsblind waren. Dem Streben nach Welterbestatus zum Trotz verfügen sie bis heute über keine englischsprachige Internetpräsenz. Wer nach fremdsprachigen Francke-Informationen in gedruckter Form sucht, fand und findet kein Angebot. Das ist doch schon mal eine Aufgabe zum Neu(jahres)anfang. (mz)

Schnee bedeckt die Dächer der Franckeschen Stiftungen in Halle.
Schnee bedeckt die Dächer der Franckeschen Stiftungen in Halle.
dpa/Symbol Lizenz