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Filmpalast in Aschersleben Filmpalast in Aschersleben: Wie ein Ehepaar das schwierige Kino-Geschäft meistert

Von Ralf Böhme 20.01.2016, 06:58
Ausnahmsweise auf der Leinwand: Zu Werbezwecken begrüßen Heidrun und Matthias Uhde ihre Gäste auch schon mal wie Filmstars.
Ausnahmsweise auf der Leinwand: Zu Werbezwecken begrüßen Heidrun und Matthias Uhde ihre Gäste auch schon mal wie Filmstars. Frank Gehrmann

Aschersleben - Zwei Welten, ein dramatischer Gegensatz. Draußen ist Markttag in Aschersleben (Salzlandkreis). Da drängeln sich die Kunden an den Verkaufsbuden. Drinnen im Filmpalast herrscht derweil gähnende Leere. Es riecht zwar nach frisch gebrühtem Kaffee und Popcorn. Aber nur ganz selten kommt jemand herein, um im Schummerlicht von Kugelleuchten einen Blick auf das aktuelle Programm zu werfen. Das sieht auf den ersten Blick nach Kino-Krise aus. Läuft geschäftlich bereits der Abspann?

Heidrun Uhde, die an der Kasse sitzt, bleibt gelassen. Die Frau des Chefs strickt in aller Ruhe blaue Kindersöckchen. Ab und zu unterbricht sie, nippt an der Kaffeetasse oder probiert selbst gebackenen Schokoladenkuchen. Ein Stapel Tickets liegt griffbereit. Die letzten ausverkauften Vorstellungen, der neue „Heidi“-Film, liegen zwar schon zehn Tage zurück. Doch Heidrun Uhde weiß, wie der Laden läuft. „Spätestens zur nächsten Filmpremiere stehen die Leute wieder bei mir nach Tickets an.“
Gäste können täglich zu drei Vorstellungen kommen. Filmfreaks nutzen das vereinzelt sogar so, dass sie von Saal zu Saal wechseln. Vier Säle gibt es, macht unter dem Strich zwölf Filme am Tag. Am Wochenende kommen noch Spätaufführungen zur Geisterstunde hinzu. Geöffnet hat der Familienbetrieb jeden Tag in der Woche.

Ab 21. Januar startet „Bibi & Tina - Mädchen gegen Jungs“. Es folgt der Actionkracher „Hatefull 8“ von Star-Regisseur Quentin Tarantino. Und für die Winterferien ist die neue Robinson-Crusoe-Story im Gespräch. Es sind alles angekündigte Hochkaräter. Auch alle Top-50-Streifen aus dem Vorjahr, besagt eine Statistik, sind in Aschersleben gut gelaufen.

Das schlägt sich in den Besucherzahlen nieder. 80.000 Zuschauer waren es im vergangenen Jahr. Die Kassiererin: „Gegenüber 2005 ist das ein Wachstum um 30 Prozent.“ Rechnerisch gesehen liegt der Filmpalast damit weit über dem Bundesdurchschnitt.

Doch von einer Kinokarte bleibt nicht viel. Die Hälfte der Einnahmen geht direkt an den Filmverleih. Dann fallen noch Steuern an, Ausgaben für die Mitarbeiter, Kredite, den Unterhalt des Kinos. Dringlichkeit entscheidet über die Reihenfolge. Eine Hälfte des Daches muss neu gedeckt werden, sonst drohen Wasserschäden.

Großes Kino wie in Aschersleben - so etwas gibt es längst nicht mehr überall in Deutschland. Momentan haben noch 890 Kommunen Kinos, 125 weniger als 2006.

Matthias Uhde als Eigentümer kennt den Trend, will ihn aber nicht akzeptieren. „Ich lebe vom und im Kino, bin dabei immer Optimist geblieben.“ Das klingt gar nicht so, als müsse der Filmpalast im Internet-Zeitalter um sein Überleben kämpfen. „Da ist niemand, der uns in Aschersleben das Feld streitig macht.“ Das Lichtspielhaus sei einer der wenigen verbliebenen Treffpunkte in der ehemaligen Kreisstadt. Es kommen nicht nur Kinder und Jugendliche. Das Kino ist auch Ziel von Familienausflügen. Und selbst Senioren finden den Weg hierher. Der Mann mit dem weißen Haarschopf glaubt, solange er als Betreiber sparsam rechnet, selbst bescheiden bleibt, kommt er über die Runden. Sein einziger Luxus neben dem Kino sind drei Autos: ein Trabant, ein Wartburg, ein Wolga.

Was die Uhdes aufgegeben haben, um das Kino zu kaufen und was sie damit noch vorhaben, lesen Sie auf Seite 2.

Eine Mahnung, jeden Euro zweimal herumzudrehen, bevor er ihn ausgibt, ist Uhde der Rückzug seiner Vorgänger - eine große Kino-Kette. „Sie hatte an der falschen Stelle gespart, zeigte manchmal nur einen Film am Tag“, erinnert sich der ehemalige Filmvorführer. Die angekündigte Schließung sei ein schwerer Schlag gewesen, ergänzt seine Frau Heidrun. Letztlich war es aber auch eine Riesenchance - zehn Jahre vor der Rente. Sie haben sie genutzt, quasi über Nacht. Es hätte aber auch schief gehen können. Eine Garantie, dass sich der Einsatz lohnt, gab es nicht.

So wagte 2007 keine Bank, auch kein anderer Kino-Betreiber, eine Prognose für den Standort. Uhdes überlegten hin und her. Schließlich setzte die Familie ihre Ersparnisse ein, verzichtete auf ein Eigenheim. Dafür kaufte sie das Kino am Markt. Uhdes bereuen das nicht, obwohl andere in ihrem Alter längst den Ruhestand genießen. Mittlerweile sind sie 43 Jahre verheiratet und sehen im Filmpalast ihr gemeinsames Lebenswerk. In sieben Jahren will das Paar im Kino eine große Party steigen lassen. Dann ist Goldene Hochzeit. Erst mit über 70, so der Plan, wollen sie kürzer treten. Zwei erwachsene Söhne sind bereit, dann den Kino-Betrieb fortzuführen. Erst dann werden Uhdes wohl auch die Muße finden, sich einen weiteren Traum zu verwirklichen - ein Kino-Museum. Dann kommt der antiquierte Vorführapparat, der jetzt im Lager abgestellt ist, vielleicht noch einmal zu Ehren. Alte Filmrollen mit Defa-Streifen in Schwarz-Weiß sind auch noch da.

Eine Maxime, die Uhdes Berufsleben durchzieht, stammt aus jener alten Zeit. „Pünktlichkeit war schon das A und O, als ich noch Rollfilme beim Landfilm einlegte.“ Heute wechselt er zwar Datenfestplatten und programmiert Computer, aber daran hält er fest: „Und wenn nur ein einziges Ticket verkauft ist, der Film läuft wie angekündigt.“ Bei Pannen sitzt er bis in die Nacht hinein, um das Problem zu lösen. Einfach sei das nicht für ihn, da er doch „die längste Zeit des Berufslebens analog auf Sendung gewesen ist“. Weil gutes Kino aber auch perfektes Kino sei, da denkt der Kino- Betreiber wie Hollywood, zwingt sich der 64-Jährige, technisch immer auf dem Laufenden zu sein.
Ganz in diesem Sinne fiel auch seine erste große unternehmerischen Entscheidung; die Einführung des 3-D-Kinos in Aschersleben. Der Filmpalast gehörte damit 2009 zu den drei ersten Kinos in Sachsen-Anhalt, die auf diese Technik setzten und so auch einen großen Erfolg einfuhren. Dank der Rekordeinnahmen, die der amerikanische Kassenknüller „Avatar“ bescherte, konnten Kredite bald wieder abgelöst werden. Solche ungewöhnlichen Filme, die Menschheitsfragen wie Krieg und Umwelt mit großen Gefühlen verbinden, sehnt Uhde herbei. Er nennt sie Kino-Retter.

Dass mancher Traum letztlich nur durch Eigeninitiative in Erfüllung geht, beweist der Filmpalast jetzt aufs Neue. Der Filmverleih bietet exklusive Live-Übertragungen von Konzerten und Großveranstaltungen an. Um dieses Angebot brillant offerieren zu können, will Uhde im Frühjahr ein neues Sound-System einbauen lassen. „Mir geht es um eine neue Qualität, den 100-prozentigen Raumklang.“ Nur so könne man, wenn alles klappt, die Marktlücke dauerhaft besetzen. Vor allem Live-Übertragungen aus internationalen Opernhäusern, darunter Verona, Madrid oder Moskau, hätten großen Show-Wert. Allmählich spreche sich das in Aschersleben herum. Obwohl der Eintritt 19,50 Euro kostet und damit teurer als ein normales Ticket ist, wächst laut Uhde die Nachfrage. Der Betreiber: „So viele Klassik-Fans habe ich in Aschersleben gar nicht vermutet.“ (mz)