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Kommentar zur Kölner Polizei Kommentar zur Kölner Polizei: Wann man über die Herkunft der Täter schweigen sollte - und wann nicht

Von Christian Bommarius 18.01.2016, 10:14

Vor neun Jahren hat sich in Bonn Folgendes ereignet: In einem Gymnasium feierten Schüler vorab ihr Abitur, am Ende der Feier waren einige Dutzend Menschen, darunter Schüler und Polizisten, verletzt. Der damalige Bonner Polizeipräsident gab am nächsten Morgen die Erklärung ab, die Schüler als Organisatoren hätten den Abend nicht im Griff gehabt.

Dem widersprach ein Teilnehmer der Feier: Vor der Halle hätten sich viele Migranten eingefunden, Einlass begehrt und – als sie abgewiesen wurden – begonnen, auf Leute einzuschlagen. Die Öffentlichkeit hat davon nichts erfahren. Denn der Polizeipräsident schwieg beharrlich. Vier Jahre später wurde er zum Polizeipräsidenten in Köln befördert – Wolfgang Albers, der nach den Exzessen in der Neujahrsnacht soeben in den Ruhestand versetzt worden ist. Nicht nur der katastrophale Polizeieinsatz am Hauptbahnhof hat seine Karriere beendet, sondern auch seine Informationspolitik, die ihn tagelang die Herkunft der Tatverdächtigen verschweigen ließ. Warum?

De facto ein Schweigebefehl

Albers hat sich an einem verbindlichen Runderlass des Düsseldorfer Innenministeriums von 2008 orientiert, der alle Landespolizeibehörden anweist, „jede Begrifflichkeit“ zu vermeiden, „die von Dritten zur Abwertung von Menschen missbraucht beziehungsweise umfunktioniert oder in deren Sinne interpretiert werden kann“. Das ist de facto ein Schweigebefehl.

Seit der Silvesternacht haben sich die Schleusen für Hass und Geifer geöffnet, im Internet ergießt sich ein Strom xenophober Infamie, und rassistische Ressentiments werden nicht mehr nur auf der Straße gegrölt, sondern erobern im ruhigen Gespräch die Salons sich bürgerlich dünkender Menschenfeinde. Den Begriff, den der Rassismus nicht in seinem Sinne „missbrauchen“ könnte, gibt es nicht, denn ihm kommt jedes Wort gelegen, um es in seinem „Sinne“ zu interpretieren. Wenn die Polizei jedes „Missverständnis“ vermeiden will, dann muss sie schweigen.

Das empfiehlt sich, um Rassisten keinen Anlass zur scheinbaren Bestätigung ihres Rassismus zu geben. Aber es empfiehlt sich auch, um nicht den Anti-Rassisten einen Anlass für ihr Misstrauen zu liefern, dass die Polizei selbst rassistisch sei und die Rassisten bereitwillig mit Futter für deren Ressentiments versorge. Danach ist jeder Hinweis der Polizei auf die Beteiligung von Ausländern, Flüchtlingen, Migranten etc. an einer Straftat nie etwas anderes als die Manifestation eines Ressentiments, jede einschlägige Äußerung nur als rassistisch zu interpretieren.

Diesem Dilemma ist mit keinem Hinweis auf den Pressekodex – an dem sich viele Landespolizeien orientieren – zu entkommen. Dort heißt es in Ziffer 12: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“ Das ist als Handreichung so praxistauglich wie der Runderlass des nordrhein-westfälischen Innenministers.

Rassistischer Pöbel in Wallung

Über das Vorliegen eines „begründbaren Sachbezugs“ lässt sich am ehesten entscheiden, wenn er fehlt: Für einen Unfall im Straßenverkehr oder einen Diebstahl im Kaufhaus ist die Herkunft der Verursachers oder Täters ohne Bedeutung. Wie aber ist es, wenn ein Mann seine Ehefrau tötet: Liefert die Antwort auf die Frage, ob er aus Eifersucht, Rache, gekränktem Stolz oder verletzter Ehre getötet hat, den „begründbaren Sachbezug“ oder gerade nicht, um die Auskunft über die Herkunft des Täters oder das Schweigen darüber zu rechtfertigen?

Dann aber gibt es Straftaten – es sind nur wenige –, die nicht nur aufgeklärt werden müssen, weil sie das allgemeine Sicherheitsgefühl verletzen, sondern von der Polizei möglichst genau und schnell erklärt werden müssen, weil sie anderenfalls der Öffentlichkeit unerklärlich bleiben und noch bedrohlicher wirken. Genau erklären bedeutet nicht nur Schilderung der Tat und der entstandenen Schäden, sondern gegebenenfalls auch über die Herkunft der Tatverdächtigen.

Sowohl damals in Bonn als auch nach der Kölner Silvesternacht hat das die Polizei versäumt und damit das Gegenteil des Gewollten erreicht: Ihr Schweigen hat das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden verletzt und den rassistischen Pöbel in Wallung versetzt. Aber genaues Erklären bedeutet auch vollständiges Erklären. Dazu hätte der Hinweis gehört, dass unter den von der Bundespolizei ermittelten 32 Tatverdächtigen neben Männern aus Marokko, Algerien etc. drei Deutsche waren.