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Leiter des neuen Fraunhofer-Instituts in Halle Leiter des neuen Fraunhofer-Instituts in Halle: Ralf Wehrspohn: Besuch der Kanzlerin ist Ritterschlag

Von Christian Schafmeister 22.01.2016, 08:12
Ralf Wehrspohn nimmt auf seiner Karriereleiter eine weitere Stufe und leitet nun ein eigenständiges Fraunhofer-Institut.
Ralf Wehrspohn nimmt auf seiner Karriereleiter eine weitere Stufe und leitet nun ein eigenständiges Fraunhofer-Institut. Andreas Stedtler Lizenz

Halle (Saale) - Flink stürmt Ralf Wehrspohn im Anzug die Treppe herunter, schaltet an diesem trüben Januarnachmittag das Licht in einer Halle seines Institutes an und macht vor einem riesigen Röntgen-Computertomographen halt. In der gewaltigen Bleikammer wird unter anderem die Belastbarkeit von Autokarosserie-Teilen getestet. „Wir können sogar noch während des Tests den Druck auf die Teile erhöhen und sehen dann live und in 3D, wann, wo und wie sie kaputt gehen“, erklärt der Leiter des neuen Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) in Halle.

Belohnung für 25 Jahre harte Arbeit

Ein Hightech-Gerät, das beispielhaft für die Arbeit der Forschungseinrichtung steht. Materialien testen, Schwachstellen aufspüren und Lösungen entwickeln - für die Autoindustrie ebenso wie für die Chemie, die Photovoltaik und die Mikroelektronik. Und aus dem Grund möchte der Institutsleiter auch Angela Merkel, die am nächsten Montag die Einrichtung auf dem Weinberg Campus besucht, den Röntgen-Computertomographen zeigen und erklären.

Doch natürlich geht es nicht nur um das Gerät. „Für meine Mitarbeiter ist der Besuch der Bundeskanzlerin ein Ritterschlag und Belohnung für 25 Jahre harte Arbeit“, erklärt der 45-jährige Physiker. Doch selbstverständlich weiß er, dass es insbesondere um die Würdigung seiner Arbeit geht - und versucht auch gar nicht erst, das zu leugnen. Seit Januar 2016 ist Wehrspohn Leiter des neuen, eigenständigen Institutes, das bislang nur als Teil des Fraunhofer-Institutes für Werkstoffmechanik (IWM) in Freiburg existierte. Nur sehr wenige Wissenschaftler bekämen überhaupt die Chance, ein eigenes Institut zu gründen - das habe ihm der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft nach der Entscheidung mit auf den Weg gegeben, berichtet Wehrspohn von seinem ganz persönlichen Ritterschlag.

Innovativer Kopf

Doch bereits in früheren Jahren ist der gebürtige Lübecker häufig vorne weg marschiert. Im Alter von 26 Jahren promovierte er an der École Polytechnique in Frankreich. Bereits mit 32 wurde er Professor an der Universität in Paderborn. 2004 zählte ihn die Financial Times Deutschland zu den 101 innovativsten Köpfen im Land. Und als er 2006 an die Spitze des IWM in Halle rückte, war er der jüngste Leiter eines Fraunhofer-Institutes. „Mein Vorteil ist, dass ich sehr früh mit der Karriere begonnen habe“, erklärte er damals nüchtern.

Stillstand ist für den Physiker ein Fremdwort, stattdessen versucht er stets Chancen zu erkennen und zu nutzen - auch jetzt. Die Abstimmung mit den Kollegen in Freiburg sei - alleine schon wegen der großen Entfernung - häufig „in zähen Prozessen“ verlaufen. Zudem sei ihm das Institut mit den Standorten in Halle und Freiburg zu groß geworden. „Dann wird man behäbig.“ Beides passt nicht in seine Welt. „Wir brauchen auch in der Fraunhofer-Gesellschaft viele kleine, schnelle und bewegliche Boote.“ Ein solches hat er jetzt bekommen und freut sich über seine neuen Gestaltungsmöglichkeiten mit einem jährlichen Haushalt von fast 20 Millionen Euro.

Derzeit werden in Deutschland 67 Institute und Forschungseinrichtungen mit 24.000 Mitarbeitern von der Fraunhofer-Gesellschaft betrieben. Damit ist die Gesellschaft nach eigenen Angaben die führende Organisation für angewandte Forschung in Europa. Das jährliche Forschungsvolumen beträgt mehr als zwei Milliarden Euro.

Davon fallen 1,7 Milliarden Euro auf den Bereich der Vertragsforschung. Über 70 Prozent werden mit Aufträgen aus der Industrie und mit öffentlich finanzierten Forschungsprojekten erwirtschaftet, 30 Prozent steuern Bund und Länder als Grundfinanzierung bei.

In Sachsen-Anhalt gibt es neben dem Institut in Halle auch noch das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung in Magdeburg. Mehr Infos im Internet: www.fraunhofer.de.

Klare Vorstellungen vom Kurs

Als Steuermann in Halle hat der 45-Jährige nicht nur klare Vorstellungen vom Kurs, er drückt auch gewaltig auf das Tempo. „Wir arbeiten einfach viel zu langsam.“ So dauere es im Schnitt noch 15 Jahre, um einen neuen Werkstoff wie eine Keramikklinge zu entwickeln. „Wir wollen die Dauer dieses Prozesses innerhalb von zehn Jahren halbieren.“

Zuversichtlich auf dem Weg dahin machen ihn vor allem die neuen technischen Möglichkeiten, insbesondere in der Röntgen-Technik. „Momentan haben wir eine Auflösung wie bei einer Röntgenaufnahme beim Arzt“, erklärt Wehrspohn. Mit der neuen Technik sei es möglich, die Auflösung um den Faktor 100 zu erhöhen. „Durch diese gigantische, technische Entwicklung können wir noch tiefer in die Materialien hineinschauen.“ Und so investiert das IWMS auch einen großen Teil der Landesförderung von neun Millionen Euro in neue Röntgentechnik.

Gut angelegtes Geld

Wehrspohn ist überzeugt davon, dass dies gut angelegtes Geld ist und die Erforschung von Materialien noch wichtiger werden wird. Daher ärgert es ihn, dass viele die Bedeutung des Forschungsgebietes noch nicht erkannt haben. „Alle reden von der Energieeffizienz, aber kaum einer von der Materialeffizienz.“ Dabei sei der Kosteneinsatz im Materialbereich deutlich höher. „Das heißt, hier ist auch der Hebel für mögliche Einsparungen viel größer.“

Doch auch Wehrspohn muss Forschung und Finanzen gleichermaßen im Blick behalten. Das liegt daran, dass sein Institut - wie bei Fraunhofer üblich - den größten Teil des jährlichen Haushalts selbst erwirtschaften muss - und deshalb auf eine enge Kooperation mit der Industrie angewiesen ist. Eine Rolle, die er von Anfang an angenommen hat. „Wir müssen heute Erfinder, Wissenschaftler und Unternehmen sein“, sagte er bereits bei seinem Amtsantritt 2006 in Halle. Konkret gehe es darum, „sich Fragen zu stellen, die auch Firmen beschäftigen und anschließend Lösungen zu suchen“.

Kautschuk als Ausgangstoff

Wie bei den Autoreifen. Die sollen leise rollen, zu einem geringen Spritverbrauch führen und auf der Fahrbahn kleben. Um all diese Eigenschaften zu bekommen, müsse in der Produktion Kautschuk als Ausgangstoff mit Zuschlagstoffen - oder wie es Wehrspohn sagt: Gewürzen - ergänzt werden. „Im Zusammenspiel muss alles dann wirken wie einer neuer Werkstoff.“

Doch auch in der Solarindustrie sind die Forscher aus Halle auf der Suche nach Lösungen. So gebe es Solarmodule, die immer ausfallen, wenn es taut. Auf der Oberfläche habe sich dann ein dünner Film gebildet, Natrium sei in die Zelle gelangt und habe einen Kurzschluss ausgelöst, erklärt Wehrspohn. Nun habe man mit einer Freiburger Firma ein Gerät entwickelt, das im Schnelltest ermitteln könne, ob ein Solarmodul von diesem Effekt betroffen sein könnte oder nicht. Daraus sei ein gutes Geschäftsmodell geworden. „Weltweit sind heute bereits mehr als 20 der Geräte zum Stückpreis von rund 30.000 Euro verkauft worden.“ Doch für den Institutsleiter, der sich selbst als sehr ungeduldig bezeichnet („das hat positive und negative Seiten“), soll es dabei nicht bleiben. Folgen werde ein Verfahren, mit dem die defekten Zellen auch repariert werden können.

Mitarbeiter sollen feiern

Und die Kanzlerin? Der zeige er bei einem 30-minütigen Rundgang neben dem Röntgen-Computertomographen auch noch ein Elektronenmikroskop, erklärt Wehrspohn, als er in der Halle wieder die Treppe hinaufsteigt und das Licht ausschaltet. Montagnachmittag steht er dort mit Angela Merkel im Rampenlicht. „Meine mehr als 200 Mitarbeiter sollen an dem Tag feiern können, für mich ist der Besuch eine Herausforderung.“ Aber damit kennt sich der 45-jährige Physiker ja bestens aus. (mz)