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Interview mit Quedlinburgs OB Frank Ruch  Interview mit Quedlinburgs OB Frank Ruch : "Der große Druck ist raus"

30.12.2015, 18:04
Alter Teppich raus, neuer Stuhl rein: Oberbürgermeister Frank Ruch in seinem Büro im Quedlinburger Rathaus.
Alter Teppich raus, neuer Stuhl rein: Oberbürgermeister Frank Ruch in seinem Büro im Quedlinburger Rathaus. chris wohlfeld Lizenz

Quedlinburg - Frank Ruch (CDU) ist seit einem halben Jahr im Amt. Das Arbeitszimmer des Quedlinburger Oberbürgermeisters hat sich kaum geändert, seitdem sein Vorgänger Eberhard Brecht (SPD) in den Ruhestand gegangen ist: Eine Vase und der 25 Jahre alte Fußbodenbelag sind verschwunden, der Schreibtischstuhl wurde ausgetauscht. Der Rest ist geblieben. MZ-Redakteur Ingo Kugenbuch sprach mit Ruch über dessen Start im Rathaus, dicke Bretter und seine Wünsche für das neue Jahr.

Herr Ruch, Sie sind in Ihr Amt gestartet und hatten gleich eine Menge dicker Bretter zu bohren: den städtischen Haushalt, Quarmbeck, den Verkauf des Kurzentrums.

Ruch: Zu den anderen dicken Brettern - wie dem Umbau der Stadtverwaltung und dem Haushalt - kamen noch ein, zwei weitere hinzu, die ich nicht auf der Liste hatte. Zum Beispiel Quarmbeck. Ich habe von Anfang an gesagt: Es passiert nichts im Stadtrat, bevor wir nicht mit den Bürgern gesprochen haben. Darum haben wir schnell die Bürgerversammlung organisiert, die sehr aktionsreich und gefühlsbetont war. Es hat sich gezeigt, dass uns die Offenheit gedankt wurde. Nach anfänglichen Missverständnissen haben wir uns so geeinigt, dass der Sprecherrat uns bis Anfang des Jahres zusammenstellt, welche Wohnungen in Quarmbeck weiterhin gewünscht werden. Das Zweite, was wie aus heiterem Himmel als Sonderaufgabe dazukam, war die Flüchtlingsunterbringung. Auch da war absolute Offenheit geboten. Ich habe sofort aus dem Herzen heraus gesagt: Natürlich helfen wir. Und die Quedlinburger haben mich nicht enttäuscht. Sie sind bereit gewesen, eine Willkommenskultur zu leben.

Wie haben Sie das erlebt?

Ruch: Die ehrenamtlichen Aktivitäten überschlugen sich förmlich. In den ersten chaotischen Tagen gab es keine staatliche Hilfe. Es lief alles nur über das Ehrenamt. Die ganz überwiegende Masse der Quedlinburger trug es mit und trägt es bis heute mit. Wir haben uns gerade wieder zum Runden Tisch getroffen - da kamen 50 Menschen im Rathaus zusammen.

Die dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge, die ab 2016 auch im Landkreis Harz verteilt werden, wird eine der schwierigsten Aufgaben im nächsten Jahr werden.

Ruch:

Die zentrale Unterbringung in der Aufnahmestelle in Quedlinburg bleibt erst einmal bestehen. Während neue Zentrale Aufnahmestellen in Sachsen-Anhalt entstehen, sollen die existierenden rückgebaut werden. Ich denke aber nicht, dass das in Quedlinburg vor Ende 2016 geschieht. Die dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge in Wohnungen wird - voraussichtlich ab März - in Abstimmung mit unserer Wohnungswirtschaft erfolgen. Und ich werde auch das Gespräch mit der Wohnungsgenossenschaft suchen. Derzeit ist der ganz große Druck etwas raus. Die Zugangszahlen in Halberstadt gehen langsam zurück. Außerdem will der Landkreis für die dezentrale Unterbringung zunächst einmal drei Übergangswohnheime für Flüchtlinge als Puffer einrichten. Dadurch wird die Unterstützung der Gemeinden für den Landkreis erst später nötig. Wir rechnen dann mit maximal 210 Flüchtlingen pro Jahr. Ich gehe aber davon aus, dass es weniger werden - zumal wir ein Drittel der Asylsuchenden in der Aufnahmestelle angerechnet bekommen. Das sind dann vielleicht 20 Wohnungen, die wir 2016 brauchen werden.

Thale hat als einzige Stadt im Landkreis bereits eine Vereinbarung mit dem Landkreis zur Flüchtlingsunterbringung unterschrieben. Woran hakt es in Quedlinburg?

Ruch: Alle anderen Bürgermeister sehen noch Verhandlungsbedarf zu den Rahmenbedingungen. Knackpunkte sind die sehr knapp berechneten Nebenkosten, die niedrige Pauschale für die Ersteinrichtung und die Kündigungsfristen. Das wurde aber teilweise schon nachgebessert.

Wird die Stadt finanziell belastet?

Ruch: Vom Grunde her fallen für uns keine Kosten an. Es ist eine offizielle Aufgabe des Landkreises, die wir in seinem Namen erfüllen.

Auf der nächsten Seite: Wie stellt sich Ruch die Integration von Flüchtlingen vor? Und wer ist der Käufer des Kurzentrums in Bad Suderode?

Wie stellen Sie sich die Integration der Flüchtlinge in Quedlinburg vor?

Ruch: Wir brauchen uns keiner Illusion hinzugeben. Aus meinen Erfahrungen wird mindestens ein Drittel der Flüchtlingsfamilien, die wir aufnehmen, Quedlinburg in kurzer Zeit wieder verlassen. Die Wohnungen, die wir in der ersten Phase bereitstellen, sind Übergangswohnungen. 99 Prozent aller Flüchtlinge, die wir aufnehmen, werden noch keinen gesicherten Status haben. Die Verfahrensdauer beträgt im Schnitt sechs Monate. In dieser Zeit wird die Masse hierbleiben. Dann wird ein Großteil Quedlinburg verlassen. Diejenigen die bleiben, müssen schnellstmöglich integriert werden. Es gibt ein gutes Projekt der Arbeitsagentur, bei dem abgefragt wird, welche Qualifikationen oder Erfahrungen - auch im Sport - die Flüchtlinge haben. Dann kann man gezielt Betriebe und Vereine ansprechen.

Anderes Thema: Verkauf des Kurzentrums. Bislang kennt niemand den Käufer. Warum machen Sie solch ein Geheimnis daraus?

Ruch:

Diese erhöhte Vertraulichkeit entstand als Ergebnis des Vertrauensbruchs, den wir bei der Vorverhandlung mit anderen Bewerbern erlebt haben. Wenn die letzten notariellen Hürden genommen sind, wird der Käufer bekanntgegeben. Eigentlich wollten wir das Kurzentrum zum Jahresende übergeben. Das verzögert sich etwas - was aber nicht Schuld des Käufers ist. Welche konkreten Dinge der neue Eigentümer plant, wird er öffentlich machen, wenn die baurechtlichen Genehmigungen in Aussicht gestellt werden.

Mit dem ersten Käufer des Kurzentrums liegen Sie immer noch vor Gericht im Clinch. Könnte das noch den jetzigen Verkauf vermasseln?

Ruch: Das sehe ich völlig unaufgeregt. Das Gerichtsverfahren hat auf den aktuellen Verkauf keinerlei Einfluss.

Das Kurzentrum hat die Stadt jede Menge Geld gekostet. Es gibt einen großen Schuldenberg abzuarbeiten. Erscheinen Ihnen die Sparanstrengungen im am 3. Dezember beschlossenen Haushalt da nicht etwas halbherzig?

Ruch:

Der Haushalt hat seine Ecken und Kanten und wird von der Kommunalaufsicht kritisch untersucht. Wir sind gut im Gespräch - das heißt aber nicht, dass wir ihn auch bestätigt bekommen. Ich würde nicht sagen, er ist halbherzig. Man kann das Konsolidierungspaket mit einer Ampel vergleichen. Wir haben grüne Maßnahmen, die schon 2016 umgesetzt werden können, die aber zugegebenermaßen nicht den Erfolg bringen, den wir brauchen. Beispiel: Die Optimierung der Energielieferverträge spart jährlich etwa 8?000 Euro. Dann haben wir gelbe Maßnahmen, die zum Teil schon mit Zahlen untersetzt sind und die wir in den grünen Zustand versetzen wollen. Das ist beispielsweise die Schließung der Süderstadt-Grundschule, was 80 000 Euro pro Jahr bringen soll. Der Beschluss soll im März erfolgen. Und dann haben wir rote Maßnahmen, die zwar in sich Sparpotenzial bergen, aber in den nächsten Wochen noch so weit qualifiziert werden müssen, dass wir wissen, welche finanziellen Effekte sie bringen. Beispiel: die Vernetzung und Zusammenarbeit der städtischen Gesellschaften.

Was haben Sie für die Stadt für Wünsche für das neue Jahr?

Ruch:

Ein realisierbarer Wunsch wäre, dass der Gesetzgeber den Erhalt des Welterbes zur Pflichtaufgabe erklärt. Dann müssten wir uns nicht immer dafür rechtfertigen, dass wir dafür Geld ausgeben, weil es als freiwillige Aufgabe angesehen wird. Ein Wunsch, der mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in Erfüllung gehen wird, wäre ein privater Spender, wie ihn die Stadt Görlitz hat. Der spendet jedes Jahr eine Million Euro - und fragt nicht, wofür das Geld verwendet wird.