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MZ-Interview mit Landrat Frank Bannert MZ-Interview mit Landrat Frank Bannert: "Parallelwelten verhindern"

29.12.2015, 20:38
In Spitzenzeiten haben 500 Flüchtlinge pro Monat den Saalekreis erreicht. Sie unterzubringen, ist eine Herausforderung gewesen.
In Spitzenzeiten haben 500 Flüchtlinge pro Monat den Saalekreis erreicht. Sie unterzubringen, ist eine Herausforderung gewesen. Wölk Lizenz

Merseburg - Die Zeit um den Jahreswechsel beschert dem Saalekreis eine Atempause. Das Land hat die Verteilung der Flüchtlinge bis Anfang Januar gestoppt. Da bleibt auch Ruhe, neben dem Thema Migration auf weitere wichtige Themen zu schauen: die Müllentsorgung, die Straßenbahnlinie 5, die Zukunft des Klinikums in Merseburg, aber auch die Burg Wettin. Dirk Skrzypczak hat mit Landrat Frank Bannert (CDU) gesprochen.

Ihr Amtskollege im Burgenlandkreis schottet die Verwaltung in Naumburg ab. Einen unkontrollierten Besucherverkehr soll es nicht mehr geben. Können Sie diesen Schritt nachvollziehen?

Bannert: Solche Einschnitte muss man sich gut überlegen. Wir nennen uns schließlich öffentliche Verwaltung. Es gibt aber auch bei uns Bereiche, in denen wir die Sicherheitslage ständig neu bewerten. Ich denke da nur an unseren neuen Standort in der Fritz-Haber-Straße in Merseburg, wo die Mitarbeiter, die das Thema Asyl bearbeiten, konzentriert werden.

Götz Ulrich, der Landrat im Burgenlandkreis, verweist auf das Attentat auf die neue Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Sie war wegen ihrer Flüchtlingspolitik angegriffen worden. Möglicherweise fürchtet Ulrich ja ein ähnliches Szenario.

Bannert: Man muss auch mal überlegen, was Ulrich durchgemacht hat. Das will man doch niemanden zumuten. Es ist natürlich ein befremdliches Gefühl, wenn man Personenschutz braucht. Ich sage aber auch, dass man sich nicht der Hysterie hingeben darf.

Wurden oder werden Sie bedroht?

Bannert: Es gibt doch immer Leute, die mit gewissen Entscheidungen nicht einverstanden sind. Vor Jahren hätten mich manche Leute wegen der Schulentwicklungsplanung am liebsten gelyncht. Aber nein, ich musste bis jetzt keine Angst haben. Und vor allen Szenarien, die denkbar sind, kann man sich auch nicht schützen.

Was Bannert zum Flüchtlingszustrom und zum Thema Integration sagt, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Das Jahr 2015 lässt sich in zwei Jahresscheiben teilen. Anfangs bestimmten kommunalpolitische Themen wie die Müllentsorgung die Debatten. Und dann kamen ab August die Flüchtlinge. Diese Diskussion überlagert seitdem alles.

Bannert: Wir haben in Bezug auf den Flüchtlingsstrom Glück gehabt und eine tolle Mannschaft in der Verwaltung, die sich dieser Herausforderung stellt. Es gab zwischenzeitlich immer wieder Momente, in denen die Lage drohte, zu kippen. Wir haben es bislang geschafft, mussten nicht wie anderswo Turnhallen belegen. Ich bleibe dabei, wenn wir massiv in das öffentliche Leben eingreifen müssen, verlieren wir den Rückhalt der Leute, die jetzt den Flüchtlingen positiv oder zumindest neutral gegenüber stehen.

Viele Kommunalpolitiker fordern Obergrenzen, oder wie man es nennt, um die Situation beherrschbar zu halten. Die Kanzlerin steuert auf einem anderen Kurs.

Bannert: Wir hoffen alle, dass der Flüchtlingsstrom nicht noch einmal so anwächst wie zuletzt. Die Politik muss die Steuerung zurück bekommen. Man kann für wenige viel tun, aber für viele eben nur wenig. Wir standen als Landkreis kurz davor, dass wir nicht mehr gekonnt hätten. Und wir brauchen eine klare Sprache, dass man die Dinge auch so benennt, wie sie sind. Wir ehemaligen DDR-Bürger haben eine Biografie, die in einem anderen Staat begann. Und wir wissen, was passieren kann, wenn die ganz oben nicht mehr hören, was das Volk denkt.

Sie sind vor allem aus der SPD scharf kritisiert worden, weil Sie das Thema Integration lange ausgeblendet haben.

Bannert: Je weiter man von einem Amt des Landrats entfernt ist, desto toller sind die Vorschläge. Das Wichtigste war am Anfang, die Leute vernünftig unterzubringen. Bei 500 Personen pro Monat war das eine logistische Mammutaufgabe. Das können Außenstehende nicht nachvollziehen. Ich musste schwierige Entscheidungen fällen. Jetzt hatten wir unsere Asylkonferenz in Leuna, das war ein guter Anfang. Der Prozess der Integration wird sehr schwierig, das muss allen klar sein. Und Integration bedeutet aber auch, dass sich die Ausländer integrieren wollen. Dazu gehört, dass sie die deutsche Sprache lernen und unsere Regeln akzeptieren. Wir wollen nicht, dass sich Parallelgesellschaften aufbauen.

In drei Monaten ist die Landtagswahl. Die etablierten Parteien sind nervös, weil keiner weiß, wie der Wähler angesichts des Flüchtlingsthemas reagiert. Glauben Sie, dass die Landesregierung den Kommunen entgegenkommt, um die Stimmung nicht noch weiter aufzuheizen? Ich denke da an die Finanzierung für die Unterbringung der Asylbewerber, die derzeit nicht auskömmlich ist.

Bannert: Bei der Finanzierung darf es keinen faulen Kompromiss geben. Wenn wir freiwillige Leistungen streichen müssten oder tief in die roten Zahlen rutschen, weil wir kräftig draufzahlen, um Flüchtlinge betreuen zu können, wäre die innere Sicherheit in Gefahr. Dieses Drohszenario kann keiner wollen. Dann hätten die Rechten und die AfD in der Tat ein leichtes Spiel. Und noch ein Wort zur Landtagswahl: Die Kandidaten, die sich stellen, sind keine Anfänger. Sie wissen, dass es auch einen Tag nach der Wahl gibt. Wir brauchen die Sicherheit, dass die Kosten, die uns durch die Betreuung der Flüchtlinge entstehen, erstattet werden.

Ob der Landrat einen Finanzdezernenten gefunden hat und wie er zur Straßenbahnlinie 5 steht, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Bleiben wir doch beim Thema Finanzen. Sie hatten einen Finanzdezernenten gesucht, damit Sie selbst entlastet werden. Haben Sie denn jemanden gefunden?

Bannert: Nein. Wir hatten zwar viele Bewerber eingeladen, aber es war kein geeigneter Kandidat dabei. An so einen Dezernenten stelle ich hohe Anforderungen. Schließlich soll er helfen, Probleme zu lösen. Und nicht neue schaffen. Ich stelle fest, dass viele junge Leute zwar hoch qualifiziert sind, aber dass ihnen Persönlichkeit fehlt. Da würde ich mir ein selbstbewussteres Auftreten wünschen. Und bevor Sie fragen: Nein, wir werden die Ausschreibung vorerst nicht wiederholen.

Spannend wird im nächsten Jahr die Debatte im Kreistag zur Müllentsorgung. Wichtige Weichen wurden schon gestellt. Aber an der Verwiegung, die einige Kreistagsmitglieder aus dem Norden kritisch sehen, scheiden sich halt die Geister. Droht da ein Riss?

Bannert: Wir haben als Verwaltung einen Vorschlag unterbreitet. Den Restmüll zu verwiegen, halten wir sowohl finanziell wie auch ökologisch für das richtige System. Diese Konzeption wird diskutiert. Wir werden einen offenen Dialog führen und alle Dinge erklären. Am Ende wird und muss ein Ergebnis stehen, dass die Mehrheit mitträgt. Ich glaube nicht, dass die Debatte in einem Hauen und Stechen endet. Zuletzt war die Diskussion viel sachlicher als noch zu Beginn.

Emotional ist auch die Frage, was aus der Straßenbahnlinie 5 wird. Es scheint so zu sein, dass herbe Einschnitte beim Fahrplanangebot drohen, wenn sich die Anrainerstädte nicht finanziell beteiligen. Aber nur Schkopau und Leuna wären dazu wohl in der Lage.

Bannert: Ich werde darüber nicht öffentlich spekulieren. Es ist die Aufgabe der Anrainer, des Kreises und der Havag, gemeinsam mit dem Land nach einer Lösung zu suchen. Im Januar wird es dazu Gespräche geben. Die Linie 5 hat eine Landesbedeutsamkeit. Und sie wird ihrer Rolle nicht gerecht, wenn die Bahnen nur nach einem Notfahrplan verkehren. Der Landkreis alleine wird die Mehrbelastung nicht schultern können. Und wir müssen als Kreispolitiker auch den ganzen Kreis im Auge haben. In Rothenburg interessiert es wohl niemanden, ob und wie die Linie 5 nach Bad Dürrenberg fährt.

Wie Banner sich die Zukunft des Merseburger Klinikums vorstellt und welche Wünsche er für 2016 hat, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Dafür dürfte im Südkreis das Interesse an der Burg Wettin gering sein, für die der Kreis 27 Millionen Euro benötigt, um sie sanieren zu können. Stimmt es eigentlich, dass Sie das Geld vor Jahren schon hatten, es dann aber in andere Schulen gesteckt haben?

Bannert: Das ist doch dummes Zeug. Der alte Saalkreis hat es 17 Jahre nicht geschafft, das Burggymnasium in Ordnung zu bringen. Warum? Weil man dieses Geld eben nicht so ohne weiteres aufbringen kann. Wir haben uns als Kreis zu Wettin bekannt. Die Schüler dort sind uns ebenso viel wert wie die Kinder in Merseburg oder anderswo. Wir haben seit der Kreisfusion 2007 bewusst viel Geld in die Schulen im Alt-Saalkreis gesteckt, um uns eben nicht den Vorwurf aussetzen zu lassen, dass wir den Norden vergessen. Wir fangen 2017 mit der Sanierung der Mittelburg an. Es passiert etwas. Aber wir brauchen die Unterstützung des Landes. Und ich bin über die ersten positiven Signale aus Magdeburg froh, auch wenn es noch nichts Konkretes gibt.

Wir hatten als MZ unlängst für Wirbel gesorgt, weil wir gefragt haben, ob eine Fusion des Carl-von-Basedow-Klinikums mit einem anderen Krankenhaus denkbar wäre. So wie es Bitterfeld und Dessau gerade praktizieren. Ist der Gedanke denn so abwegig?

Bannert: Ich habe genügend Fantasie, um mir eine Menge vorstellen zu können. Aber es gibt einen feinen Unterschied zu anderen. Unser Klinikum ist ein Schwerpunktkrankenhaus. Wir sind akademisches Lehrkrankenhaus und wären sicher für viele ein hervorragender Partner. Aber wir müssen uns nicht anbieten. Das heißt nicht, dass man nicht über Synergien wie Einkaufsgemeinschaften oder Chefarztversorgung reden kann. Über Jahre ist an unserem Klinikum etwas entstanden, das wir auch im Sinne der 1 000 Mitarbeiter bewahren wollen und müssen. Deshalb hatte ich mich auch ganz bewusst zur kommunalen Struktur bekannt. Unser Krankenhaus hat einen guten Ruf, den wir nicht aufs Spiel setzen werden.

Was wünschen Sie sich für 2016?

Bannert: Abseits von Gesundheit und Glück hoffe ich, dass wir die Fehler nicht machen, die andere schon gemacht haben. Und ich wäre schon zufrieden, wenn wir das neue Jahr so händeln können wie das alte. Natürlich wird auch viel von der Landtagswahl abhängen. Der Bürger muss genau überlegen, wen er seine Stimme gibt. Wichtig ist, überhaupt zu wählen. (mz)