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Geschichte Geschichte: Wittenberg im Olympiafieber

Von Rainer Schultz 05.01.2016, 17:12
Tolle Kulisse bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Beim 1 500-Meter-Lauf war auch der Wittenberger Werner Böttcher dabei.
Tolle Kulisse bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Beim 1 500-Meter-Lauf war auch der Wittenberger Werner Böttcher dabei. Repro/Thomas Tominski Lizenz

Wittenberg - Nach dem großen Olympia-Werbesportfest 1934 in der Lutherstadt war ganz Wittenberg im Olympiafieber. Zwei Jahre intensiver Vorbereitung blieben den „Laufmusketieren“ von Meistertrainer Arthur Lambert noch, um sich auf das Kräftemessen mit den besten Athleten aus aller Welt vorzubereiten. Die Erfolge seiner Sportler lösen einen Anmeldeboom beim KTV aus. Die große Chance, bei Olympia im eigenen Land an den Start zu gehen, ist ein sehr verlockendes Ziel.

Zwei Jahre Vorbereitung

Dies sagen sich neben Walter Schönrock, Max Syring, Karl-Heinz Becker, Werner Böttcher und Ewald Mertens auch Paul Rakowiak, Karl Kelm sowie Friedrich Krüger. Sie alle stehen auf dem Sprung, ins Olympiateam aufgenommen zu werden. Die Sprinterinnen Charlotte Bachmann (80 Meter Hürden in 12,0 s) und Margret Elger (100 Meter in 12,4 s) zählen ebenfalls zum engeren Kandidatenkreis. Später werden viele Wittenberger Schüler Charlotte Bachmann als engagierte Sportlehrerin erleben. Nun liegt es an dem begnadeten Sportpädagogen Arthur Lambert, die individuellen Stärken seiner Schützlinge bis Olympia 1936 „herauszukitzeln“. An Walter Schönrock gerichtet, spricht der Trainer deutliche Worte: „Dein Fehler ist es, vorzeitig einen Gang zurückzudrehen und dem Gegner das Feld zu überlassen. Wenn Du diesen Fehler abstellst, wirst Du bald große Erfolge erzielen.“

Interessante Trainingsanalyse

Wie analytisch Lambert vorgeht, zeigt eine andere Passage aus seinen zahlreichen Trainingsbriefen: „Bei einer durchschnittlichen Schrittlänge von 1,70 Meter benötigt ein Läufer 5 885 Schritte für einen 10 000-Meter-Lauf. Schafft er es, das Ganze auf 1,73 Meter pro Schritt zu vergrößern, sind dies bei Beschleunigung der Schrittfolge fast 200 Meter, die er dabei gewinnt“. Der Wittenberger Meistertrainer, der inzwischen beim Deutschen Reichsbund für Leibesübungen zum Lehrwart für Langstreckenlauf (Nationaltrainer) berufen ist, lädt am 10. Mai 1936 zum „Tag der Langstreckler“ ein. Unter den Startern befinden sich auch internationale Gäste, wie der Marathon-Olympiasieger von 1932, der Argentinier Juan Zabala. Für ihn bedeutet Wittenberg zugleich die Akklimatisierungsphase in Europa vor dem olympischen Start.

Spielen droht der Boykott

In der Welt des Sports brauen sich zum gleichen Zeitpunkt „Unwetter“ zusammen. Schuld daran ist Hitlers Expansionspolitik, die in Ländern wie Großbritannien, Frankreich und den USA längst erkannt wurde. Hinzu kommen die Nürnberger Rassengesetze von 1935, die sich vor allem gegen die Juden richten. Die internationale Kritik nimmt zu. Es droht der Boykott der Olympischen Spiele. Hitler möchte das Prestigeprojekt für sein Regime nicht aus der Hand geben. Die zuvor diskriminierenden Schilder und Plakate gegen Juden werden für die Zeit der Spiele aus dem Straßenbild entfernt. Auch die Presse erhält Order, keine hetzerischen und diffamierenden Beiträge gegen Juden zu verfassen.

Der große deutsche Literat Heinrich Mann entlarvt in seiner Rede bei der „Konferenz zur Verteidigung der Olympischen Idee“ 1936 in Paris indessen das Hitlerregime: „Ein Regime, das sich stützt auf Zwangsarbeit und Massenversklavung, das den Krieg vorbereitet und nur durch verlogene Propaganda existiert, wie soll ein solches Regime den Sport respektieren.“

Fernsehen erlebt Premiere

Seine warnenden Worte verhallen. Die Sportjugend der Welt trifft sich trotz aller Einwände in Berlin. Insgesamt 760 000 Zuschauer erleben vom 2. bis 9. August 1936 die Leichtathletikwettkämpfe in Berlin. Das Fernsehen erlebt seine Premiere. Viele Menschen verfolgen das Geschehen an den Rundfunkgeräten. Das deutsche Aufgebot umfasst 348 Teilnehmer, darunter auch sechs Wittenberger Leichtathleten.

Im nächsten Teil berichtet die MZ über den weiteren Verlauf der Wittenberger Erfolgsgeschichte unter Trainer Arthur Lambert. (mz)