Vermisstenfall in Thale: Vermisstenfall in Thale: Von Jutta Schulz fehlt seit zwei Jahren jede Spur

Thale - Arno könnte sie kennen, des Rätsels Lösung. Wie er sich bedrohlich gegen das marode Tor schiebt, rüttelt, schnauft, wirkt er, als wollte er sich einer Fremden offenbaren. Allein, er kann es nicht, der massive Rottweiler-Rüde. Und Klaus Kroschwitz, das Herrchen, hat eine sehr einleuchtende Erklärung für das Verhalten des Hundes: „Wir haben nur ganz selten Gäste. Er ist einfach aufgeregt“, sagt er.

Kroschwitz und Arno gehören zu den wenigen Spuren, die Jutta Schulz hinterließ. Ihren treuen Hund hat sie zurückgelassen, als sie vor fast zwei Jahren den Hof in Thale verließ und verschwand. Spurlos. Niemand hat die 53-Jährige gesehen, keiner hat ein Lebenszeichen bekommen, keinen Brief, keine SMS, nichts. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen, wie es gerne heißt, wenn nichts wirklich klar ist. Am Ende blieb nur der Gang an die Öffentlichkeit. Im Fernsehen wurde das Verschwinden der Harzerin in der MDR-Sendung „Kripo live“ und schließlich noch einmal beim ZDF-Format „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ behandelt. Dennoch blieb das Rätsel um Jutta Schulz eben dies: ungelöst.

Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens im April 2014 war Jutta Schulz 53 Jahre alt, 1,59 Meter groß und sehr schlank. Sie hatte damals rotbraun gelocktes, schulterlanges Haar, das sie meist zum Dutt oder Zopf gebunden trug.

Außerdem hat sie eine Tätowierung auf dem linken Schulterblatt in Form eines Auges. Hinweise zu Ihrem Verbleib richten Sie bitte an die Kriminalpolizei unter der Telefonnummer 03941 / 674 193 oder an jede andere Polizeidienststelle.

Wachhund Arno hat sich beruhigt. Im Haus, in einem offenen Küchenschrank, liegen Fotos von Jutta Schulz. Bilder einer eigenwilligen Frau. Wenn er von seiner Lebensgefährtin erzählen soll, lächelt Kroschwitz matt, hält kurz inne - und sagt dann, sie sei eine Frau, „mit der es nie langweilig wurde - die aber auch unberechenbar war“.

Mit Hund und Lebensgefährten lebt die Kellnerin in Thale nahe Quedlinburg. Ihren Lebensunterhalt verdient sich Jutta Schulz vor allem durch den Handel mit Antiquitäten. Doch die unregelmäßigen Einnahmen, so erzählt es Kroschwitz, reichen nicht aus, es sammeln sich Schulden an. Einen Ausweg bietet eine Arbeitsvermittlerin 2011: Sie könne als Barfrau im Kölner Bordell ErosCenter arbeiten. Seitdem serviert sie in regelmäßigen Abständen für mehrere Wochen in dem Etablissement Getränke. Auch am 1. Mai 2014 will Jutta Schulz wieder nach Köln reisen, um zu arbeiten. Das belegt ein Ticket, das sie Wochen zuvor gekauft hat.

Was die Gründe für das Verschwinden sein kännten und wie der Lebensgefährte mit der Situation umgeht, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Am 7. April, kurz vor ihrem Verschwinden, geraten die 53-Jährige und ihr Lebensgefährte in einen Streit. Anschließend, das bezeugen Nachbarn, verlässt sie den Hof mit ihrem Fahrrad. Hier enden die Gewissheiten, ihre Spur verliert sich. In dieser Nacht schläft sie wahrscheinlich auf einer Couch in ihrem Antiquitätenladen in Thale. Während Klaus Kroschwitz am nächsten Tag arbeitet, kehrt sie laut Polizei in das gemeinsame Haus zurück, packt Kleidung und Hygieneartikel ein und verschwindet. Das bereits gekaufte Zugticket nach Köln, ihre Handys und ihren Rottweiler lässt sie aber zurück. Warum? Dafür nimmt sie einen Großteil ihrer Garderobe mit - weshalb die Ermittler davon ausgehen, dass ihr jemand beim Abtransport geholfen haben muss.

Als sie nicht zurückkehrt, macht sich ihr Lebensgefährte nach eigenen Angaben zwar Sorgen, er alarmiert aber nicht die Polizei. Nachdem sie auch am 1. Mai nicht zur Arbeit in Köln erscheint, melden schließlich ihre dortigen Kollegen sie als vermisst. Sie ist bis heute spurlos verschwunden. Freiwillig? Oder ist ihr etwas zugestoßen?

Mit ihrem Verschwinden hat Jutta Schulz alle Kontakte abgebrochen, auch nicht mehr auf ihr Bankkonto zugegriffen. Wenn sie noch lebt, woher hat sie dann Geld? Nach Angaben der Ermittler könnte das dafür sprechen, dass sie Opfer eines Verbrechens wurde. Ein Funke Hoffnung bleibt aber: Jutta Schulz befand sich in einer schwierigen Lebenssituation. Sie hatte offenbar vor, sich von ihrem Lebensgefährten zu trennen. Noch dazu hatte sie erhebliche Schulden. Die Polizei hält es deshalb auch für möglich, dass sie abgetaucht ist: Um irgendwo ein neues Leben anzufangen. Ohne Klaus Kroschwitz, ohne Schulden, ohne Arno. Vielleicht irgendwo im Ausland?

Auch Bekannten und Freunden bleiben nur Vermutungen. Sie habe Wochen vor ihrem Verschwinden vorgehabt, sich in Thale eine eigene Wohnung zu suchen, erzählt ein langjähriger Freund. Sie habe von der Besichtigung einer Zwei-Raum-Wohnung mit Garten geschwärmt, in dem auch der geliebte Arno Auslauf hätte. Nie habe sie erwähnt, dass sie ihren Heimatort verlassen wolle, so der Freund. „Plötzlich zu verschwinden und alles zurück zu lassen, passt überhaupt nicht zu ihr.“

Auch laut Corinna Rasche, einer Geschäftspartnerin, spricht Jutta Schulz über einen Neuanfang und nennt einen Grund, sich von Kroschwitz zu trennen: Sie habe einen Mann in Köln kennengelernt, der sich wünscht, dass sie zu ihm zieht. Auch ein Neuanfang, jedenfalls Zukunftspläne. Als Rasche dann von Jutta Schulz Verschwinden hört, glaubt sie deshalb: Der 53-Jährigen muss etwas zugestoßen sein.

Klaus Kroschwitz hingegen wusste nichts von Juttas Trennungsabsichten. Das beteuert er, auch gegenüber der Polizei. Als seine Lebensgefährtin nach dem Streit vom Hof fährt und nicht zurückkehrt, glaubt er noch an „eine ihrer üblichen Kapriolen“: Sie habe ihn mehrmals aus heiterem Himmel verlassen, mindestens einmal auch für einen anderen Mann. Aber immer sei sie nach einigen Wochen zurückgekehrt - reumütig. Deshalb habe er auch keine Vermisstenanzeige aufgegeben. Aber ja, mittlerweile glaube aber auch er, dass sie in Köln einen anderen Mann kennengelernt hat - und mit ihm durchgebrannt ist.

Lange vor dem Verschwinden seiner Partnerin sei die Beziehung der beiden ins Wanken geraten, sagt Kroschwitz. Er ist ruhig, wirkt gesetzt, sie hingegen sei impulsiv und rastlos. Jutta Schulz habe stets ein wenig über ihre Verhältnisse gelebt und mehr vom Leben gewollt, als die Kleinstadtidylle im Harz mit Klaus Kroschwitz und Arno. Als 2013 ihre Mutter stirbt, hat Kroschwitz das Gefühl, dass sie nichts mehr in in ihrer Heimat hält.

Sie habe sich verschlossen, sich von ihm zurückgezogen. Die US-amerikanische Bestsellerverfilmung „Eat, Pray, Love“ habe sie vor ihrem Verschwinden immer und wieder angeschaut. Die Geschichte einer New Yorkerin, die nach ihrer Scheidung beschließt, alle Zelte abzubrechen und auf einen Selbstfindungstrip nach Italien, Indien und Bali zu gehen. „Das war ihr Traum“, meint Kroschwitz und schaut bedrückt.

Der Streit, das Ausbleiben der Vermisstenanzeige. Natürlich war Kroschwitz zunächst verdächtig. Und ist es mindestens bei einigen Thalensern immer noch. „Nachdem die Kriminalpolizei mit einem Leichenspürhund hier war, hatten sie mich schon verurteilt.“ Sie, das seien Nachbarn, aber auch Fremde. Gründe, weshalb er die Rollläden stets geschlossen hält und nur selten Besuch empfängt. Trifft er in seinem Heimatort auf Bekannte, sprächen ihn diese stets auf Jutta Schulz an.

Er kann ihnen keine Antwort geben. „Ich hätte wahrscheinlich alles schon vergessen, wenn ich sicher wüsste, dass sie in Indien ist und sich dort ein neues Leben aufgebaut hat“, sagt Kroschwitz und schaut über die Fotos auf dem Küchentisch. Bilder, Arno, Kroschwitz - dürre Spuren und vage Vermutungen, mehr findet man in Thale nicht. Und die Frage bleibt: Wo ist Jutta Schulz? (mz)