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Ernährungsreport 2016 Ernährungsreport 2016: Nicht die Wirklichkeit auf deutschen Tellern

Von Stefan Sauer 05.01.2016, 15:45
Viel Gemüse, gesund, umweltbewusst, bio, nachhaltig, fair und tierlieb – so stellen Deutsche im ernährungsreport 2016 ihr Eßverhalten dar. Zahlen sagen etwas anderes.
Viel Gemüse, gesund, umweltbewusst, bio, nachhaltig, fair und tierlieb – so stellen Deutsche im ernährungsreport 2016 ihr Eßverhalten dar. Zahlen sagen etwas anderes. dpa Lizenz

Berlin - Umfragen zu Ernährungsgewohnheiten haben eine entscheidende Schwäche: Viele Menschen neigen dazu, das eigene Essverhalten in ein reichlich mildes Licht zu tauchen. Man gibt sich tendenziell ein wenig gesundheitsbewusster, naturverbundener und tierlieber als man tatsächlich einkauft und isst.

Die Erhebung, die das Forsa-Institut für den am Dienstag vorgestellten Ernährungsreport 2016 des Bundeslandwirtschaftsministeriums durchgeführt hat, bildet da keine Ausnahme. Manche der Antworten, die die 1000 im Oktober befragten Verbraucherinnen und Verbraucher gaben, passen mit der Wirklichkeit auf deutschen Tellern einfach nicht zusammen.

So erklären laut Ernährungsreport neun von zehn Befragten, mehr Geld für Wurst und Fleisch ausgeben zu wollen, wenn die Tiere artgerecht gehalten werden. Im Durchschnitt würden die Befragten um 65 Prozent höhere Fleischpreise bezahlen. Gut ein Viertel der Verbraucher gab sogar an, das Doppelte und mehr auf die Fleischertheke zu legen, wenn es nur dem Wohl der Tiere dient.

Tatsächlich liegt der Marktanteil von Bio- und Neulandfleisch, die für eine artgerechtere Haltung stehen, nach Angaben des Naturschutzbundes hierzulande aber bei nur einem Prozent. Foodwatch nennt einen Anteil von immerhin zwei Prozent.

Kein Geld fürs Tierwohl

So oder so: Von einer großen Bereitschaft der breiten Bevölkerung, um des Tierwohls willen tiefer in die Tasche zu greifen, künden die Zahlen nicht.

Eine ähnlich tiefe Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit offenbart sich beim Blick in den Mülleimer. Laut Umfrage werfen 58 Prozent der allein lebenden Menschen sowie zwei Drittel der über 60-Jährigen niemals Lebensmittel weg. Nur 42 Prozent der Befragten räumten ein, mindestens einmal pro Woche Essbares in den Abfall zu kippen.

Demgegenüber kam die Universität Stuttgart 2012 in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass jeder Deutsche rein statistisch pro Jahr 82 Kilogramm Nahrung wegwirft, also im Durchschnitt täglich 225 Gramm.

Beim Müll geschummelt

Würde gut die Hälfte der Bevölkerung tatsächlich stets alle Lebensmittel verbrauchen, müssten die übrigen also jeweils ein Pfund Nahrung pro Tag der Mülltonne überantworten. Plausibler ist die Annahme, dass bei den Antworten geschummelt wurde und tatsächlich viel häufiger und mehr weggeworfen wird als es in der Umfrage aufscheint.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wo die Deutschen einkaufen und welche Gerichte sie am liebsten essen.

Ein drittes Beispiel für wenig belastbare Angaben liefert das Thema Kochen. In der Umfrage gaben vier Fünftel der 14- bis 18-Jährigen an, „sehr gern“ zu kochen. Zugleich räumte ein Drittel der Befragten in dieser Altersgruppe aber ein, eigentlich nie am Herd zu stehen. Man tut sehr gern, was man nie tut? Nun ja.

Und soll man glauben, dass inzwischen ein Drittel der deutschen Männer täglich zum Kochlöffel greift und ein weiteres Drittel mehrmals pro Woche? Wo doch laut Umfrage auch 51 Prozent der Frauen täglich und weitere 37 Prozent zwei- bis dreimal pro Woche selbst warmes Essen zubereiten?

Balgen um den Platz am Herd?

Stimmten die Angaben, würden sich in vielen Haushalten Männer und Frauen um den Platz am Herd regelrecht balgen. Das ist, soweit erkennbar, nicht der Fall. Insofern dürften die Ergebnisse einer Umfrage, die das Online-Portal Deals.Com 2013 durchführte, der Wirklichkeit näher kommen. Darin gaben 52 Prozent der Männer an, allerhöchstens einmal pro Woche selbst zu kochen. Ein weiteres Drittel räumte ein, sich vollends selbstständiger Essenszubereitung zu enthalten.

Trotz der erkennbaren Schwächen der Umfrage liefert der Ernährungsreport manch interessante Information, etwa zu den beliebtesten Gerichten. Nicht Curry-Wurst und Co. stehen ganz oben, sondern Spätzle und Spaghetti. 35 Prozent der Befragten nannten Nudeln als Leibgericht. Mit weitem Abstand folgen Kartoffel- und Gemüsespeisen, die von je 18 Prozent favorisiert werden.

Täglich Wurst und Fleisch

Auch Salat (15 Prozent) und Pizza (14 Prozent) haben nennenswerte Fangemeinden. Dagegen gaben nur elf Prozent der Befragten Fleischgerichte wie Schnitzel als Lieblingsessen an, obwohl 47 Prozent der Männer und 22 Prozent der Frauen täglich Wurst oder Fleisch verzehren.

Dies ist ein markanter, aber nicht der einzige Unterschied zwischen den Geschlechtern. 76 Prozent der Frauen achten eigenen Angaben zufolge auf gesunde Ernährung, aber nur 62 Prozent der Männer. 21 Prozent der Frauen greifen regelmäßig zu kalorienreduzierten Produkten, von den Männern setzen 18 Prozent auf Fett- und Zuckerarmes.

Keinen Unterschied gibt bei Süßigkeiten, die von 22 Prozent der Befragten mehrmals täglich konsumiert werden.

Einkauf im Supermarkt

Beim Lebensmitteleinkauf bevorzugen knapp 60 Prozent den Supermarkt, jeweils ein gutes Drittel sucht Discounter und Fachgeschäfte wie etwa Metzger- und Bäckerläden auf.

Auf die Frage nach wünschenswerten Verbesserungen in der Lebensmittelerzeugung nannten 70 Prozent eine bessere Umweltverträglichkeit der Landwirtschaft und 86 Prozent höhere Einkünfte für die Bauern. Ganz oben auf der Wunschliste steht die „bessere Beachtung der artgerechten Haltung von Nutztieren“, die von 88 Prozent der Befragten angegeben wurde. Aber das Thema hatten wir ja schon . . . .

Interessant trotz Mängeln: Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt und Geschäftsführer Manfred Güllner vom Forsa Institut stelen den Rrnährungsreport vor.
Interessant trotz Mängeln: Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt und Geschäftsführer Manfred Güllner vom Forsa Institut stelen den Rrnährungsreport vor.
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