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Interview mit Holger Stahlknecht Interview mit Holger Stahlknecht: Die überforderte Polizei

Von Henrik Kranert-Rydzy 04.12.2015, 19:49
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU)
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) dpa/Archiv Lizenz

Magdeburg - Herr Minister, in Sachsen-Anhalt müssen Unfallopfer bis zu eineinhalb Stunden auf die Polizei warten, marode LKW werden nicht kontrolliert, Geschwindigkeitskontrollen finden nicht statt - wo führt das hin?

Stahlknecht: Die Polizei übernimmt mittlerweile vielfältige zusätzliche Aufgaben, die nicht vorhersehbar waren, als wir die Polizeistrukturreform auf den Weg brachten. Dazu gehört zum einen die Gewährleistung der Sicherheit in und vor den Flüchtlingsheimen, die für mich hohe Priorität hat. Zum anderen sind Versammlungen und Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Thema Flüchtlinge und Asyl abzusichern. Diese Aufgaben binden sehr viele Kollegen. Und das führt dann dazu, dass Verkehrskontrollen sicher nicht in der Intensität durchgeführt werden, wie man das unter anderen Bedingungen hätte tun können. Was die Zeiten bei sogenannten Blaulichteinsätzen - bei Unfällen mit Verletzten oder bei Verbrechen - angeht, da sind wir gut und im Durchschnitt in 17 Minuten vor Ort. Aber es kann schon passieren, dass man bei Blechschäden länger auf den Streifenwagen warten muss. Wir sind da ohnehin nur Erfüllungsgehilfen der Versicherungen.

Klingt, als würden Sie für Blechschäden nicht mehr zuständig sein wollen. Für die Absicherung von Fußballspielen und Schwertransporten auch nicht?

Stahlknecht: Die Abgabe der Zuständigkeit für den Schwerlasttransport befürworte ich ausdrücklich, das hätte uns bereits in diesem Jahr 18.000 Einsatzstunden erspart. Erforderlich sind dazu aber entsprechende Regelungen auf Bundesebene, die derzeit noch in Arbeit sind. Für die Absicherung von Fußballspielen gibt es von mir eine klare Aussage: Die Sicherheit vor den Stadien ist eine originäre polizeiliche Aufgabe, davon werden wir uns nicht verabschieden. Bei Blechschäden wollen wir in ein vereinfachtes Verfahren übergehen, bei dem nur noch Personalien aufgenommen werden. Ein entsprechender Erlass soll spätestens im Januar in Kraft treten.

Andere Bundesländer machen nicht einmal mehr das.

Stahlknecht: Das ist richtig, aber in der jetzigen Situation sollte man darüber nicht diskutieren, sonst verunsichert man die Bevölkerung nur noch unnötig.

Die Polizei war bereits vor der Flüchtlingskrise überlastet. Sie selbst haben vor einer Gefährdung der Inneren Sicherheit gewarnt, wenn die Zahl der Polizisten unter 6.000 sinkt. Was ist daraus geworden?
Stahlknecht: Die Aussage steht nach wie vor, es ist unstreitig, dass wir auf Dauer mindestens 6 000 Polizisten brauchen. Um dies in Zukunft zu sichern, habe ich als einen wichtigen Schritt den Einstellungskorridor an der Fachhochschule der Polizei von 150 auf 250 Anwärter fast verdoppelt. Bei einer Ausbildungszeit von drei Jahren greift das natürlich nicht sofort, so dass wir kurzfristig von derzeit knapp über 6.000 Beamten auf 5.800 absinken werden. Angesichts dessen, dass wir von viel schlechteren Zahlen ausgingen, halte ich das für einen großen Erfolg.

Aber die Lage draußen zeigt doch, es reicht nicht.

Stahlknecht: Stimmt, da gibt es nichts zu diskutieren: Wir haben im Augenblick für die vielen Aufgaben zu wenig Polizisten und müssen mit weniger Beamten sogar mehr leisten. Und mein großer Dank gilt unserer Polizei, die das derzeit hervorragend schultert. Aber dies sollte uns eine Lehre für die Zukunft sein, dass Innere Sicherheit sich nicht nur betriebswirtschaftlich rechnen lässt und dass für solche Zeiten auch Reserven nötig sind. Wir bräuchten 400 bis 500 Polizisten zusätzlich; 6.500 Polizeibeamte wären in der jetzigen Situation optimal. Ich kann aber nicht sofort mehr Polizei in den Einsatz bringen. Wir brauchen drei Jahre, bis die Absolventen von der Polizeischule kommen oder bei einer anderen Variante mindestens sechs bis acht Monate.

Sie meinen Hilfspolizisten, die Sie einstellen wollen. Sie waren sich mit der SPD nahezu einig. Wo hapert es?

Stahlknecht: Ich habe bereits vor einiger Zeit vorgeschlagen, Wachpolizisten im Angestelltenverhältnis einzustellen und habe mich sehr gefreut, dass die SPD meinen Vorschlag für eine schnelle Lösung aufgegriffen hat. Wir bräuchten 200 bis 250 Leute, die als Voraussetzung einen Realschulabschluss mitbringen sollten.

Warum nur Angestellte? Es geht um Staatsdiener, die eine Waffe tragen, wären Beamte da nicht besser?

Stahlknecht: Der Vorschlag, Wachpolizisten im Angestelltenverhältnis einzustellen, hat natürlich etwas mit Haushaltskosten, aber auch mit einem gerechten System zu tun. Wenn wir 200 bis 250 Personen einstellen, reden wir über 15 Millionen Euro haben aber erst einmal nur reine Personalkosten. Denjenigen, die sich nach drei Jahren bewährt haben, kann man dann das Angebot machen, nach einer zweijährigen Weiterbildung ins Beamtenverhältnis zu wechseln. Würde ich von Anfang an alle Wachpolizisten verbeamten, schaffe ich eine Zweiklassen-Polizei: Niedrig bezahlte verbeamtete Wachpolizisten und die besser bezahlten übrigen Polizisten. Aber mir wäre die aus meiner Sicht schlechtere Lösung immer noch lieber als gar keine Lösung.

Wie ist der Stand der Dinge?

Stahlknecht: Meinen Vorschlag, Wachpolizisten im Angestelltenverhältnis zu übernehmen, trägt die SPD leider nicht mit. Für verbeamtete Polizisten bräuchte ich aber Stellen im Haushalt, die ich nicht habe. Die sollte die SPD mit ihrem Finanzminister zur Verfügung stellen: Es war ursprünglich mit den Fachpolitikern von SPD und CDU verabredet, mindestens zusätzlich 50 Stellen zu schaffen. Dazu gibt es von Seiten der SPD jedoch keine Bereitschaft mehr. Vor der Wahl wird wohl nichts mehr passieren, daher war das „Beamtenmodell“ von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Bleiben am Ende also nur die Feldjäger, die Sie kurzfristig einstellen wollen. Sieht es da besser aus?

Stahlknecht: Wir haben erste Gespräche mit dem Karrierezentrum der Bundeswehr aufgenommen. Es gibt noch technische Details zu klären. Wir planen daher ein Gespräch mit der Feldjägerschule in Hannover.

Es ist also noch offen, wann wie viele Feldjäger kommen?

Stahlknecht: Wir haben bereits zehn Bewerbungen. Die Bewerber können wir einstellen und verkürzt bei der Bereitschaftspolizei ausbilden. Wenn aber 50 Bewerber kämen, dann würden wir das Land Brandenburg bitten, diese für uns mit auszubilden. Brandenburg hat ein vergleichbares Modell mit Feldjägern in der Polizei. Diese Ausbildung dauert aber eineinhalb Jahre. Da sind wir wieder bei der Ausgangsfrage: Die Grundsatzentscheidung für mehr Polizisten ist getroffen, es geht aber nicht von heute auf morgen. (mz)