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Rhythmische Sportgymnastik Rhythmische Sportgymnastik: Wurde Sportlerin aus Halle von Trainerinnen misshandelt?

Von Petra Szag 17.06.2014, 08:15
Eine Sportlerin beim Weltcup der Rhythmischen Sportgymnastik
Eine Sportlerin beim Weltcup der Rhythmischen Sportgymnastik dpa Lizenz

Halle (Saale) - Am Wochenende liefen in Baku die Europameisterschaften der Rhythmischen Sportgymnastik. Doch parallel zu ihrem Saisonhöhepunkt droht der Sportart womöglich ein handfester Skandal. Es geht um Schläge, Psychoterror, Essensentzug, Verabreichung von Medikamenten sowie Beschimpfungen. Im Mittelpunkt des Vorgangs stehen Katerina Luschik, eine 16 Jahre alte Sportlerin aus Halle, sowie Karina P. und Natalia S., zwei Trainerinnen am Bundesstützpunkt in Fellbach-Schmiden.

Bis vor gut einem Monat hat Katerina Luschik in Schmiden trainiert, ehe sie zu ihrem Heimatstützpunkt nach Halle zurückkehrte. „Da sind einige ungeheuerliche Dinge vorgefallen“ sagt sie. Dinge, die ihre Mutter Svitlana Luschik dazu bewogen haben, sogar Anzeige zu erstatten.

Vorsätzliche Körperverletzung?

Aufgegeben wurde diese Anzeige am 14. Mai im Polizeirevier Halle-Neustadt. Wegen „Vorsätzlich einfacher Körperverletzung §223 StGB“, so steht es offiziell auf ihrer Bescheinigung über eine Anzeigenerstattung. Svitlana Luschik spricht von „einer Summe von vielen Einzelvorkommnissen, die meiner Tochter physisch und psychisch enorm geschadet haben“.

So soll Gruppentrainerin Natalia S. Katerina Luschik bei einem Wettkampf am 8. März im französischen Thiais unmittelbar vor dem Wettkampf ins Gesicht geschlagen haben. Mit der Bemerkung: „Damit du wach wirst.“ So berichtet es die Sportlerin.

Vier Bundesstützpunkte gibt es derzeit in der Rhythmischen Sportgymnastik (RSG), die organisatorisch zum Deutschen Turnerbund gehört, dem - auf Mitglieder bezogen - zweitstärksten Fachverband im Deutschen Olympischen Sportbund.

In Fellbach-Schmiden ist der einzige Bundesstützpunkt für die Nationalmannschaft der Erwachsenen. Mit der Neustrukturierung der Sportart RSG 2009 erhielt das Zentrum den Zuschlag aller Bewerber, zu denen seinerzeit auch Halle gehörte.

Bremen, Halle und Wattenscheid sind ausschließlich Bundesstützpunkte für Nachwuchs. Alle drei Standorte haben den Auftrag, „junge Sportler zu entwickeln, die die Nationalmannschafts-Gruppe verstärken sollen“, sagt Bianka Hüller, Standortmanagerin des Stützpunktes Halle. Wenn sie 15 Jahre alt sind, müssen sich die leistungsstärksten Gymnastinnen also entscheiden: Wer international durchstarten will und das Zeug dazu hat, wird nach Schmiden delegiert. Wer bleibt, trainiert im Stützpunkt auf Vereinsbasis weiter.

Und es ist nicht der einzige Vorfall, den die Mutter der Gymnasiastin in ihrer Anzeige zu Protokoll gegeben hat und den die Tochter in ihrem Gespräch auf dem Revier am 4. Juni bestätigte. Schon bei einem Wettkampf eine Woche zuvor in Moskau habe sich ihre Tochter schikaniert gefühlt, berichtet Svitlana Luschik. Da soll Cheftrainerin Karina P. den Sportlerinnen vorher ausgeteilte Marken für Mittagessen und Abendbrot wieder abgenommen haben. Mit den Worten: „Wieso esst ihr? Hat euch Frau S. nicht gesagt, ihr sollt schlafen?“, berichtete die mit Essenentzug bedachte Gymnastin über den Vorfall.

Hinzu kamen ihren Schilderungen zufolge Demütigungen, Beschimpfungen als „fette Kuh“ und „dicke Schlampe“. „Jeden Tag im Training haben wir das zu hören gekriegt auf russisch“, berichtet Katerina Luschik. „Ich habe dann meine Mutter gefragt, was das denn eigentlich heißt. Und die war einfach nur entsetzt.“

Weitergabe von Medikamenten?

Vor dem Heim-Weltcup vom 20. bis 23. März in Stuttgart, so erzählt die Mutter, sei ihre Tochter krank gewesen. Fieber, Husten, Atemnot. Ihre zuständige Erzieherin sei daraufhin mit der Gymnastin am 19. März bei einem Allgemeinarzt in Schmiden gewesen. Dieser diagnostizierte eine starke Pollen-Allergie in Verbindung mit einem Virusinfekt und verordnete der Sportlerin Ruhe. Dennoch sollte Katerina Luschik auf Anweisung der Trainer den Wettkampf bestreiten. Kurz zuvor, so gab es die 16-Jährige zu Protokoll, habe ihr Karina P. im Beisein von Natalia S. Tabletten gegeben, die ihr helfen sollten. Mutter Svitlana Luschik, selbst damals in Stuttgart anwesend, erzählt: „Als die Trainerinnen wieder weg waren, habe ich das meiner Tochter untersagt und die Tabletten eingesteckt. Später hat sich herausgestellt, dass das ein verschreibungspflichtiges russisches Antibiotikum war.“ Um dies beweisen zu können, habe sie das Medikament aufgehoben und zwei der Pillen später der Polizei überlassen.

Weitere Informationen zur Anzeige und was die Trainerinnen zur den Vorwürfen sagen, lesen Sie auf Seite 2.

All diese Vorfälle hat Svitlana Luschik vor Erstattung der Anzeige am 10. und 11. Mai am Rande der deutschen Meisterschaften in Halle auch den Verbandsverantwortlichen des Deutschen Turnerbundes mitgeteilt. Silvio Kroll, der Vizepräsident Leistungssport, und der Referent für Kadermanagement, Sven Karg, nahmen dies zur Kenntnis und versprachen Klärung. Eine weitere, diesmal schriftliche Information ging von Mutter und Tochter am 2. Juni per Mail auch an den Verband. Am Mittwoch weilte Sportdirektor Wolfgang Willam für Gespräche in Halle. Gegenüber der MZ erklärte er: „Wenn eine Straftat besteht, gibt es eine Null-Toleranz-Grenze.“ Doch es stehe Aussage gegen Aussage. „Wir sind nicht dabei gewesen, alles weitere muss nun juristisch geklärt werden.“

Kurz vor der Abreise zur EM nach Baku hat Willam während eines Trainingslagers in Kienbaum die beschuldigten Trainerinnen und Katja Luschiks ehemalige Trainingsgefährtinnen einzeln dazu befragt. Die Vorwürfe der körperlichen Gewalt und des Essensentzuges, so erklärte der Sportdirektor, „haben die Gymnastinnen nicht bestätigt. Und die beiden Trainerinnen haben die Verabreichung von Medikamenten dementiert.“

Training nun in deutscher Sprache

Einzig bei dem Punkt der Beschimpfung im Trainingsalltag auf Russisch gebe es durch die Übersetzungen „Spielraum für Interpretationen.“ Deshalb kündigte er eine erste konkrete Konsequenz an. Die Trainerinnen würden angewiesen, die Trainingseinheiten künftig in deutscher Sprache abzuhalten.

Trainerinnen streiten Vorwürfe ab

Die beschuldigten Trainerinnen ließen über Willam per Mail aus Baku mitteilen: „Nach einer heutigen Befragung beider Trainerinnen zu ihren konkreten Fragen stellen beide ausdrücklich fest, dass die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht zutreffen. Beide Trainerinnen behalten sich vor rechtliche Schritte wegen übler Nachrede gegen Frau Luschik einzuleiten.“

Die Ermittlungen, so sagt Polizeisprecherin Lisa Wirth vom halleschen Revier, sind noch nicht abgeschlossen.

Das Ergebnis ist also derzeit noch offen. (mz)