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Interview zum Mindestlohn Interview zum Mindestlohn: "Gesetz ohne Arbeitszeiterfassung ist ein totes Gesetz"

30.03.2015, 09:33
Symbolbild.
Symbolbild. dpa Lizenz

Berlin - DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell zieht drei Monate nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns eine erste Bilanz und Kritisierte Versuche der Arbeitgeber, die Dokumentationspflichten zur  der Arbeitszeiterfassung abzuschwächen.

Herr Körzell, die Arbeitgeberverbände und Teile der Union verlangen Änderungen am Mindestlohngesetz, weil insbesondere Kleinbetriebe unter kleinteiligen Aufzeichnungspflichten zu ersticken drohten. Ist das Gesetz ein bürokratisches Monster?

Körzell: Ich empfinde diese Klagen mit Verlaub als reichlich lächerlich. Der Vorwurf der bürokratischen Überforderung bezieht sich auf die Dokumentation der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit, die schon seit langem nach dem Arbeitszeitgesetz und dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz vorgeschrieben ist.  Durch den Mindestlohn ist lediglich noch einmal die Notwendigkeit deutlich geworden, die Arbeitszeit festzuhalten. Man kann nun mal nicht einen Mindestlohn auf Stundenbasis zahlen, wenn keiner die Stunden zählt. So einfach ist das.

Für kleine Betriebe nicht, sagen die Arbeitgeber. Die Kneipe um die Ecke zum Beispiel sei überfordert, wenn sie jede Minute Arbeit jedes Kellner und jeder Küchenhilfe aufzeichnen müsse.

Auf dem Bon wird jede servierte Cola mit Uhrzeit und Preis belegt. Und da soll es nicht möglich sein, die Arbeitszeit der Bedienung festzuhalten? Das ist doch ein Witz.

Warum dann das Tamtam?

Weil ein Mindestlohngesetz ohne Arbeitszeiterfassung ein totes Gesetz ist, und genau das wollen die Arbeitgeber erreichen. Offenbar haben sich viele Betriebe in der Vergangenheit nicht an das Arbeitszeitgesetz gehalten, müssen das jetzt aber tun. Denn ein Nichterfassen der Arbeitszeit verstößt letztlich auch gegen das Mindestlohngesetz und kann damit  hohe Geldbußen von bis zu 500 000 Euro nach sich ziehen. Das gab es vorher nicht. Es geht also nicht um die Abwehr bürokratischer Monstren, sondern um das Vermeiden empfindlicher Strafzahlungen.

Jeder sollte seine Arbeitszeit genau dokumentieren

Was können Beschäftigte tun, deren Arbeitgeber sich weigern, die Arbeitszeit korrekt zu erfassen und zu bezahlen?

Jeder sollte Anfang und Ende der Arbeit genau notieren und sich das, wenn möglich, von Kollegen bestätigen lassen. Dazu braucht man einen Stift und ein Blatt Papier, mehr nicht. Zahlt der Betrieb die geleistete Arbeit nicht, können Beschäftigte die Nachzahlung gerichtlich durchsetzen, und das für drei Jahre nachträglich. Dabei muss der Arbeitgeber dann auch noch die Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen, und zwar nicht nur seinen, sondern auch den Arbeitnehmeranteil. 

Viele Arbeitnehmer scheuen juristische Schritte, weil sie ihren Job nicht verlieren möchten.

Das ist so. Deshalb brauchen wir in Deutschland das Verbandsklagerecht, das den Gewerkschaften die Möglichkeit eröffnen würde, stellvertretend für die einzelnen Arbeitnehmer vor Gericht zu ziehen. Bis es soweit ist, raten wir den Menschen, die unsere Mindestlohnhotline kontaktieren, nicht kampflos auf ihre Rechte zu verzichten. Seit Anfang Januar hatten wir rund 9000 Anrufe, deutlich mehr als erwartet. Deshalb werden wir die Hotline weiter laufen lassen: Seine Rechte zu kennen ist schließlich der erste Schritt, um sie geltend zu machen.

Über welche Verstöße klagen die Anrufer denn besonders?

Zum einen rufen uns geringfügig Beschäftigte an, die in 52 Stunden pro Monat arbeiten sollen, was nur in 60, 70 oder 80 zu schaffen ist.

Gleiche Arbeit in weniger Zeit

Das müssen Sie erklären.

Ein Minijobber, der für den monatlichen Höchstverdienst von 450 Euro bisher 70 Stunden gearbeitet hat, soll das gleiche Pensum jetzt in 52 Stunden schaffen, weil 52 Stunden mal  8,50 Euro eben genau 450 Euro pro Monat ergeben.  Der Arbeitgeber gibt das einfach vor: Du machst weiter wie bisher, du bekommst so viel wie bisher, die dazu passende Arbeitszeit rechnen wir uns dann schon zu recht.

Das ist aber nicht legal, oder?

Natürlich nicht. Das Gleiche gilt auch für die Verrechnung von tariflich oder einzelvertraglich vereinbarten Zuschlägen oder Trinkgeldern, über die viele Hotline-Anrufer berichten.  Eine dritte, offenbar recht verbreitete, Umgehungsmethode der Arbeitgeber ist die teilweise Entlohnung in Naturalien:  Da gibt’s anstelle des Mindestlohns dann Popcorn-Gutscheine für Kino-Mitarbeiter oder kostenlose Solarium-und Bäderbesuche  für die dort Beschäftigten. Solche Leistungen dürfen zwar zusätzlich zum Mindestlohn gewährt werden, aber nicht anstelle des Mindestlohns.

Ist das Einhalten des Mindestlohngesetzes angesichts der vielen Verstöße überhaupt kontrollierbar?

Es kann, es muss und es wird kontrolliert werden. Finanzminister Schäuble hat zugesagt, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit um 1600 Mitarbeiter aufzustocken, die speziell für die Kontrolle des Mindestlohngesetzes zuständig sein werden. Bis die bereit stehen werden allerdings noch einige Jahre vergehen. Mit voller Mannschaftsstärke ist erst im Jahr 2019 zu rechnen. Das ist eindeutig zu spät. Arbeitgeber müssen gleich zu Beginn merken, dass das Gesetz auf Einhaltung überprüft wird.

Das Gespräch führte Stefan Sauer