1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Arbeitsstättenverordnung in der Kritik: Arbeitsstättenverordnung in der Kritik: Arbeitgeber kritisieren neue Verordnung

Arbeitsstättenverordnung in der Kritik Arbeitsstättenverordnung in der Kritik: Arbeitgeber kritisieren neue Verordnung

Von Stefan Sauer 28.01.2015, 14:49
Was ist der optimale Arbeitsplatz?
Was ist der optimale Arbeitsplatz? dpa Lizenz

Wie muss ein Arbeitsplatz beschaffen sein, um Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten? Für welche Tätigkeiten ist Tageslicht erforderlich? Wie groß sollte eine Arbeitsfläche mindestens sein? Diese und ähnlich gelagerte Fragen möchte die Bundesregierung mit einer Novelle der Arbeitsstättenverordnung regeln und dabei Bestimmungen, die bisher in anderen Gesetzen und Verordnungen enthalten sind, zusammenfassen.

Die Vorarbeiten laufen seit Mitte 2012, im Oktober passierte der Verordnungsentwurf das Kabinett, anschließend fügte der Bundesrat einige kleinere Änderungen ein. Für den kommenden Mittwoch wurde die endgültige Verabschiedung im Kabinett terminiert. All dies geschah, ohne dass die breite Öffentlichkeit von dem Vorhaben Notiz genommen hätte.

"Bürokratischer Irrsinn"

Und so wäre es wohl geblieben, wenn nicht Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer vor wenigen Tagen die geplanten Änderungen der Arbeitsstättenverordnung aufs Schärfste gebrandmarkt hätte. Unter der Überschrift „Bürokratischer Irrsinn in Absurdistan“ zählte Kramer in einem Positionspapier auf, was aus Sicht der Arbeitgeber der Kategorie „schädlicher Überregulierung“ zu zuordnen ist.

Der Unmut richtet sich zum einen gegen Anforderungen, die an Telearbeitsplätze in der Privatwohnung von Arbeitnehmern gestellt werden: Die novellierte Arbeitsstättenverordnung sieht unter anderem vor, dass der Arbeitsplatz über eine Helligkeit von mindestens 500 Lux verfügen muss, die Schreibtischfläche reflexionsarm auszugestalten ist und überdies so groß zu sein hat, dass der Arbeitnehmer beim Schreiben seine Handballen vor der Tastatur auflegen kann.

In der Praxis seien solche Vorgaben an vielen Heimarbeitsplätzen kaum umsetzbar und zudem durch die Betriebe nicht zu kontrollieren, erläutert ein BDA-Sprecher. So könnten Beschäftigte ihrem Arbeitgeber den Zutritt zur Privatwohnung verwehren und damit eine Überprüfung unmöglich machen.

Weiterer Kritikpunkt ist der geplante Anspruch der Arbeitnehmer auf eine eigene abschließbare Kleiderablage im Betrieb. Auch die Vorschrift, dass Kantinen und Pausenräume über Tageslicht verfügen müssen, stößt in der BDA auf Widerstand. Schließlich richten sich die Arbeitgeber auch dagegen, dass selten genutzte Abstell- und Archiv-Räume künftig als Arbeitsplatz gelten sollen und daher eine Mindesttemperatur von 17 Grad vorzuhalten ist. Die Mittelstandsvereinigung der CDU hat sich mittlerweile der Kritik angeschlossen.

Ist die Arbeitsstättenverordnung also wirklich absurd?

Keineswegs, betonen SPD und Gewerkschaften. Die heftig kritisierten Vorgaben für Telearbeitsplätze im Haushalt der Arbeitnehmer seien keineswegs neu. „Es hat sie bisher schon gegeben, nur dass sie in einer eigenen Bildschirmarbeitsverordnung enthalten waren, die nun lediglich in die neue Arbeitsstättenverordnung integriert wird. Das bedeutet nicht mehr, sondern weniger Bürokratie“, sagt Andrea Fergen, IG Metall-Vorstandsmitglied und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Arbeitsstätten (ASTA), der dem Novellierungsverfahren beratend zur Seite stand.

Auch die Behauptung, die Unternehmen seien zur Kontrolle der Heimarbeitsplätze nicht in der Lage, hält die Gewerkschafterin für vorgeschoben. Betroffen seien nur Arbeitsplätze, die vom Betrieb eingerichtet wurden und somit selbstverständlich von den Arbeitgebern aufgesucht und überprüft werden könnten. Gelegentliche Arbeiten vom Privat-PC würden von der Verordnung zudem gar nicht erfasst.

Gleiches gelte auch für selten genutzte Abstellkammern oder Archivräume: Nur wenn ein Raum regelmäßig als Arbeitsplatz genutzt werde, greife die Mindesttemperatur-Regel. Absurd sei mithin nicht die Verordnung, sondern eine Arbeitswelt, in der ohne klare Regeln selbst einfache Standards zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten nicht eingehalten würden, sagt Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall: „Tageslicht, gesunde Atemluft und ausreichend Bewegungsflächen sind leider keine Selbstverständlichkeit in den Unternehmen.“

Kramers Ziele könnten andere sein

Bleiben die abschließbaren Kleiderspinte – ein denkwürdiger Gegenstand. Denn die Vorschrift war im ursprünglichen Entwurf aus dem Hause von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gar nicht enthalten. Erst im Bundesrat gelangte die Kleiderablage mit Schloss in die Verordnung – auf Antrag des CDU-geführten Bundeslandes Sachsen. Die Kritiker aus der Union zielen mithin aufs eigene Knie.

Was mag - angesichts dieser Faktenlage - den BDA-Präsidenten zu solch harscher Kritik veranlasst haben, zumal die Arbeitgeber von Beginn an in das Verfahren eingebunden waren und auch im ASTA vertreten sind? IG-Metall-Vorstand Fergen mutmaßt, dass Kramer mit seiner Polemik nicht so sehr auf die Arbeitsstättenverordnung, sondern auf weitere Vorhaben der Bundesarbeitsministerin wie die Anti-Stress-Verordnung ziele. Auch die Regulierung der Leiharbeit und der Werkverträge steht auf der Tagesordnung der großen Koalition.

Es sieht allerdings nicht danach aus, als hätten Kramers harte Worte die Ministerin eingeschüchtert, im Gegenteil. Nahles machte Anfang der Woche in einem Brief an Kramer deutlich, dass sie und ihre Mitarbeiter sich durch den BDA-Chef persönlich angegriffen fühlten. Sie sei „sehr verärgert“ über die Äußerungen des BDA-Präsidenten. Rückendeckung erhielt sie am Mittwoch von Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD): „Ich wundere mich über die Kritik. Schließlich haben die Arbeitgeber im Ausschuss zu allem Ja gesagt.“