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Hungerstreik in Bitterfeld Hungerstreik in Bitterfeld: Die Unsichtbaren

Von Steffen Könau 08.08.2013, 19:01
Hahmed Pourbohlool, Sina Alinis und Hermann Rad (v.l.) harren seit letzter Woche im Bitterfelder Park „Grüne Lunge“ aus.
Hahmed Pourbohlool, Sina Alinis und Hermann Rad (v.l.) harren seit letzter Woche im Bitterfelder Park „Grüne Lunge“ aus. Andreas Stedtler Lizenz

Bitterfeld/MZ - Für einen Moment leuchten die Augen von Sina Alinia auf. Ein ältere Frau nähert sich, Einkaufsbeutel in der Hand, den Kopf etwas zur Seite geneigt. Sie schaut nicht herüber, wo der 27-Jährige in seinem gelben Poloshirt sitzt und ihr entgegenlächelt. Und als sie dann den Blick hebt, passiert, was immer passiert: Als würde sie von einer unsichtbaren Kraft abgelenkt, beschreibt ihr Weg jetzt einen Bogen. Weg von den Zelten. Weg von den Spruchbändern.

In Sina Alinias Gesicht ist jetzt kein Lächeln mehr. Seit Anfang des Monats schon sitzt der studierte Bauingenieur gemeinsam mit Hermann Rad und Hahmed Pourbohlool in dem kleinen Protestcamp mitten im Bitterfelder Park „Grüne Lunge“. Und mittlerweile fühlt er sich wie ein Unsichtbarer. „Die Leute gehen vorbei, als wären wir nicht da“, sagt Alinia, „sie gucken durch uns durch, als wären wir Luft.“ Auf der Unterschriftenliste, mit der die Protestler die Behörden auffordern, sich ihre Anliegen wenigstens anzuhören, stehen nach sieben Tagen fünf Unterschriften.

Schritt in die Öffentlichkeit

Dabei hatten die drei Iraner den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt, „weil wir den Menschen zeigen wollen, wie mit uns umgegangen wird“, erklärt Hamed Pourbohlool. Der Mann mit der ruhigen Stimme hatte daheim ein Fuhrunternehmen. Dann musste er fliehen. „Seit zwei Jahren lebe ich nun im Dschungel von Friedersdorf“. Und sein Verfahren zieht sich länger und immer länger hin.

Das Heim, in dem Alinia, Pourbohlool und Rad zusammen eine Unterkunft bewohnen, ist der Alptraum der drei. Sina Alinia, der Deutsch vor dem Fernseher gelernt hat, zeigt auf seine Freunde: „Wir sehen uns jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, wir haben kein Handynetz und kein Internet - wir sind wie gemeinsam begraben.“

Nach dem Verlust von Heimat und Familie bedeutete das Heim, das sie „Lager“ nennen, auch den Verlust von Individualität und Privatleben. Hermann Rad, von Beruf Automechaniker, leidet unter einer Herzkrankheit. „Es gibt unter uns viele Depressionen, dunkle Gedanken und Hoffnungslosigkeit“, beschreibt Sina Alinia.

Es sind Zelte voller Verzweiflung, in die sie abends kriechen. „Keiner von uns kann zurück nach Hause, aber es kann auch keiner von uns so weiterleben“, sagt Hamed Pourbohlool. Es wird für einen Moment still an dem Tischchen unter dem Sonnenschutz, an dem die drei Männer auch am Donnerstag wieder warten, ob nicht jemand wissen will, was sie bewegt. Dann sagt Alinia: „Aber sie wollen nichts sehen und nichts von uns wissen“.

Ein Trugbild der Freiheit

Er staunt immer noch darüber. „Bevor ich hierher kam, weil ich nach den Protesten gegen unsere Regierung fort musste, habe ich ein Bild von Deutschland im Kopf gehabt, auf dem stand groß Demokratie und Menschenrechte.“ Deutschland war ein schimmernder Ort der Zuversicht. Der immer dunkler wurde, je näher der Mann mit den Klavierspielerfingern ihm kam. „Heute weiß ich, dass alles nur ein Trugbild gewesen ist.“

Carola Probst zumindest kann das verstehen. Die gebürtige Thüringerin, die in einem Dorf in der Nähe von Bitterfeld lebt, ist eine von wenigen, die nicht einfach vorbeigegangen sind. „Man will doch wissen, was das für Leute sind“, sagt sie. Seit ihrem ersten Gespräch mit den drei Iranern ist sie immer wieder in den Stadtpark gekommen, auch, weil sonst kaum einer kam. „Als sie sich dann entschlossen haben, in den Hungerstreik zu gehen, habe ich gesagt, gut, dann kann ich mit meiner medizinischen Ausbildung wenigstens auf euch aufpassen.“

Carola Probst ist gegen diese letzte Konsequenz, vor allem bei Hermann Rad, dessen Körper ohnehin geschwächt ist. „Aber ich kann nachvollziehen, dass sie in ihrer Verzweiflung so handeln müssen.“ Probst, hauptberuflich bei der Flugrettung, bekommt mit, wie wenig Erfolg der Versuch der Flüchtlinge hat, öffentlich über ihr Schicksal reden zu wollen. „Es sind nicht nur die normalen Leute, die vorbeigehen“, hat sie beobachtet, „es ist auch die Politik, die so tut, als seien sie gar nicht hier.“

Ein Abgeordneter der Grünen sei mal kurz da gewesen. Sonst niemand, nicht einmal die Polizei. „Ich glaube, die hoffen alle, dass wir eines Tages einfach wieder verschwinden“, sagt Sina Alinia. Allerdings ist es nicht so, dass die Behörden nicht wüssten, dass sie derzeit noch da sind. „Die Frau von der Pachttoilette ist jetzt angewiesen worden, ihnen kein Wasser mehr zu geben“, sagt Carola Probst. Und im Büro der Partei Die Linke, das ganz in der Nähe liegt und den Flüchtlingen nun als Ersatzquelle dient, bekamen sie gerade gesagt, dass sie nun aber auch nicht dauernd kommen könnten.

Ein unglückliches Missverständnis, wie Vorstandsmitglied Annett Czichy betont. „Wir unterstützen die Flüchtlinge, wo wir können.“ Dass auch von ihrer Partei noch kein Politiker den Weg zum Zeltlager gefunden hat, liege einfach am Wahlkampf. „Da haben leider alle wenig Zeit und viel Arbeit.“

„Wir bleiben und wir hungern“

Sina Alinia nimmt es mit einem Achselzucken. Hoffnung auf Hilfe hat er nicht mehr in Bitterfeld, das den Titel „Stadt ohne Rassismus“ trägt. Auch die Aussichten darauf, dass ihre Forderungen nach Freizügigkeit, schnellerer Anerkennung und einer Erlaubnis zur Aufnahme einer Arbeit erfüllt werden, schätzt er realistisch ein. So viele Ämter, so viele Gesetze, so einsam ihr kleiner Protest. „Und die Leute hier haben eigene Probleme.“ Eine andere Wahl aber, als dennoch durchzuhalten, sieht er für sich nicht. „Wir bleiben und wir hungern, bis zum bitteren Ende.“

Seit vorgestern sind die drei Flüchtlinge im Hungerstreik.
Seit vorgestern sind die drei Flüchtlinge im Hungerstreik.
Andreas Stedtler Lizenz