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Eklat beim ESC-Vorentscheid Eklat beim ESC-Vorentscheid: Gewinner Andreas Kümmert nimmt die Wahl nicht an

Von Thorsten Keller 05.03.2015, 20:34
Er darf zum ESC nach Wien, will aber nicht: Andreas Kümmert
Er darf zum ESC nach Wien, will aber nicht: Andreas Kümmert dpa Lizenz

Hannover - Paukenschlag beim deutschen ESC-Vorentscheid. Andreas Kümmert, der sich am Donnerstagabend in Hannover mit seinem Song „Heart of Stone“ im Finale durchgesetzt hatte, nahm den Sieg nicht an. Er sei momentan nicht in der Verfassung, am 23. Mai in Wien zu singen, erklärte er auf der Bühne in Hannover. Stattdessen fährt nun die Zweitplatzierte Ann Sophie mit dem Titel „Black Smoke“ zum ESC. Die weiß gar nicht, was sie sagen soll. Das Publikum auch nicht. Buhrufe schallen durch den Saal. Und Moderatorin Barbara Schöneberger? Sie moderiert tapfer weiter und betont: Andreas' Entscheidung müsse akzeptiert werden.

Sie habe Kümmert abgenommen, dass er nicht tief in die ESC-Maschinerie eintauchen wollte, sagte Schöneberger nach der Show. „Der hat Angst.“

Die ARD hat in der Nacht zum Freitag klargestellt, dass der deutsche Vorentscheid endgültig ist. Das erklärte ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber auf einer Pressekonferenz im Anschluss an die skandalumwitterte Show in Hannover. Der zuvor vom Publikum gewählte Sieger Andreas Kümmert hatte gesagt, er sehe sich außerstande zum ESC zu fahren.  „Der Weg zum Sieg ist nicht der, den wir uns vorgestellt haben“, so Schreiber wörtlich. Man müsse Kümmerts seltsamen Sinneswandel aber akzeptieren.

Schreiber betonte, der ARD sei bekannt gewesen, dass es auch 2013 bei der von Kümmert gewonnenen Sat 1-Castingshow „Voice of Germany“ hinter den Kulissen Probleme mit dem Sänger gegeben habe. Deswegen habe man im Vorfeld der ESC-Show mit Kümmert gesprochen. Schreiber betonte: „Es war seine Idee, beim ESC dabei sein zu wollen. Das ist ihm von niemandem aufgeschwatzt worden.“ Damit begegnete er Spekulationen, Kümmerts Plattenfirma Universal könnte den Künstler zur Teilnahme gedrängt habe. Der ARD-Mann deutete an, dass der Sänger psychisch nicht ganz auf der Höhe sei und erklärte dazu: „Die Bühne ist der natürliche Lebensraum von Andreas Kümmert. Außerhalb der Bühne scheint es anders zu sein.“

Bereits bei der Bekanntgabe der Kandidaten für den Vorentscheid hatten manche gerätselt, warum ausgerechnet Andreas Kümmert antritt. Der Rock- und Bluessänger hatte vor einem Jahr die Castingshow „The Voice of Germany“ gewonnen, schien sich aber nie wohl im Medienzirkus zu fühlen. Im Vorfeld des Finales hatte es außerdem Medienberichte gegeben, wonach er bei einem Konzert Frauen sexistisch beleidigt haben soll.

„Die Lampe ist zu groß“

Noch am Tag vor dem Vorentscheid hatte er die Proben verpasst. Er war mit 40 Grad Fieber beim Arzt, wie es in der Show hieß. Kümmert hat nicht nur eine Riesenstimme, er bringt Tiefe und viele Facetten in seine Songs. Leichtfertig hat er die Entscheidung sicherlich nicht getroffen. Nach seinem Abgang wirkt er zerknirscht.

Das Team um Kümmert verwies nach der Show auf den öffentlichen Wirbel, dem der Sänger ausgesetzt sei. „Die Lampe ist zu groß, die da angeht“, sagte Siggi Schuller von der Plattenfirma Universal in einem ARD-Video. „Er hat alles gegeben und irgendwann festgestellt, dass er es einfach nicht packt.“ Er glaube, Kümmert habe einfach spontan entschieden.

Ein Sprecher der veranstaltenden European Broadcasting Union (EBU) reagierte gelassen. „Wir haben keine Vorgaben, wie die Nationen ihre Künstler für das Finale auswählen“, sagte EBU-Sprecher Jarno Siim der Zeitung „Die Welt“ (Online). „Für uns gilt derjenige als Kandidat, der im Mai zum Head of Delegations Meeting in Wien erscheint.“ Der Rückzug Kümmerts gefährde Deutschlands Teilnahme nicht, „auch wenn es meinen Informationen nach bisher einzigartig ist“.

In sozialen Netzwerken ließen die ersten Reaktionen auf seinen Verzicht nicht lange auf sich warten. Sänger Rea Garvey sprach bei Twitter von einem „Desaster“ - und rief dazu auf, „Barbara“ (Schöneberger) zum Finale zu schicken. Moderator Oliver Pocher kommentierte den Abend mit einem verlegen-roten Smiley.

Conchita Wurst überstrahlte den Wettbewerb

Dabei lief zunächst alles nach Show-Plan. In der Heimatstadt von Lena Meyer-Landrut ging die Suche nach einem konkurrenzfähigen deutschen ESC-Beitrag am Donnerstagabend in die nächste Runde, nach enttäuschenden Platzierungen in den beiden Vorjahren. Den eigentlichen Wettbewerb überstrahlte indes die Vorjahressiegerin. Conchita Wurst, Österreichs vollbärtige Antwort auf Shirley Bassey, schmetterte vom Saalpublikum stürmisch gefeiert,  einmal mehr „Rise Like A Phoenix“, ehe die TV-Zuschauer über Aufstieg und Abstieg der acht Kandidaten abstimmen durften.

Dabei ging es auch um die sehr grundsätzliche Frage, ob Firlefanz und Ausdruckstanz vom Publikum stärker gewichtet werden, oder doch die zentralen Kategorien Song und Stimme. Am Ende landeten tatsächlich die beiden stärksten Sänger im Finale. Andreas Kümmert, 2013er-Gewinner der Castingshow „Voice of Germany“, bestach durch den Kontrast aus Stimmgewalt und totaler Styling-Verweigerung. Mit dem dunkelblauen Kapuzenpulli, der hohen Stirn und  dem Zauselbart könnte man den 28-Jährigen glatt mit einem der Bühnentechniker verwechseln, doch sein blues-getränkten Songs „Home Is In My Hands“ und „Heart of Stone“ waren die intensivsten Darbietungen des Abends.  Auch 40 Grad Fieber konnten den Sänger nicht bremsen.

Banale Botschaft

Am anderen Ende der Skala – viel Choreografie und wenig dahinter - stand die Dance-Formation Noize Generation. Während der stampfende „Song For You“ keinen bleibenden Eindruck hinterließ, turnten zwei Komparsen in Ganzkörper-Roboterkostümen über die Bühne, und leuchteten dabei wie die Weihnachtsbäume. Einen durchschnittlichen Song mit einer schwungvollen Choreografie veredelte das Berliner Frauentrio Laing. Sie strampelten sich während des Fitnessstudio-Liedchens „Zeig deine Muskeln“ so engagiert auf ihren Ergometern ab, als wollten sie vom Norddeutschen Rundfunk anschließend  Kilometergeld kassieren. Die Botschaft der Mädels – in der Muckibude geht es zuvörderst um sehen und gesehen werden – war allerdings grenzwertig banal.

Mit einem genuschelten Grußwort von Udo Lindenberg („Tränenfluss hinter meiner Sonnenbrille“) ging Alexa Feser ins Rennen. Ihr Schlager/Chanson-Mix war zwar das attraktivste Angebot für die älteren ESC-Semester, doch Fesers Texte („Das Gold von morgen“) gingen über ein unbedarftes Puzzle aus Kalendersprüchen und Glückskeks-Slogans nicht hinaus. (mit ken, dpa)

Nun fährt doch sie: Nummer zwei, Ann Sophie
Nun fährt doch sie: Nummer zwei, Ann Sophie
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