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Geschichte des Krankenhauses Martha-Maria in Halle-Dölau Geschichte des Krankenhauses Martha-Maria in Halle-Dölau: Blut gegen Lebensmittelkarte

Von Jessica Quick 13.04.2015, 14:00
Das Dölauer Krankenhaus war einst das größte Reichsluftwaffenlazarett Großdeutschlands.
Das Dölauer Krankenhaus war einst das größte Reichsluftwaffenlazarett Großdeutschlands. Privat/Richter Lizenz

Halle (Saale) - Ein Bett, Seife und Wäsche. Man kann es sich kaum noch vorstellen, aber das waren die drei Dinge, die man nach dem Zweiten Weltkrieg mitbringen musste, wenn man im Dölauer Krankenhaus stationär behandelt werden wollte. „Heute fragen die Patienten warum zum Abendbrot nur vier verschiedene Brotsorten angeboten werden oder ob es auf dem Klo kein Regal geben könne, um die Zeitung abzulegen“, erzählt Christian Richter. Der ehemalige Chefarzt hat knapp 40 Jahre lang in der Klinik als Chirurg gewirkt, kennt die Arbeit im damaligen DDR-Bezirkskrankenhaus genauso wie nach der Wende mit dem neuen Träger Martha-Maria. Und schon immer galt sein Interesse der Geschichte des Gebäudes.

Intensive Recherchen

Als Pensionär hat der mittlerweile 70-Jährige seine Recherchen intensiviert. Er sprach mit zahlreichen Zeitzeugen, fand Dokumente im Stadtarchiv und begann, seine Erkenntnisse in einem Buch zusammenzufassen: „Die Geschichte des Dölauer Krankenhauses“, lautet nun abschließend der Titel, der sich als siebter Teil in die „Dölauer Hefte“ einreiht und eine Geschichtsreise liefert, die sich quer durch verschiedene Gesellschaftsordnungen und Gesundheitssysteme samt ihrer Zwänge und Freiheiten zieht.

Größtes Reichsluftwaffenlazarett Großdeutschlands

1936 begannen die Nationalsozialisten auf Befehl von Reichsluftfahrtminister Hermann Göring und unter der Leitung des Architekten Ernst Georgi (1897-1984) mit dem Bau des repräsentativen Hospitals, welches im Grundriss einem Flugzeug nachempfunden war. Nicht ohne Grund, denn schließlich sollte das Gebäude zum größten „Reichsluftwaffenlazarett Großdeutschlands“ werden. Den zeitgenössischen Einschlag vermittelt Richter anhand alter Aufnahmen: Fackellampen, ein Musikzimmer holzgetäfelt, sogar einen Kinosaal mit Rüstern aus dem Wienerwald gab es. Die Löcher für die Projektoren sind bis heute in dem Kongresssaal, der noch immer „Kinosaal“ heißt, sichtbar. „Die Soldaten sollten sich eben in ihrer Zeit der Rekonvaleszenz wohlfühlen“, sagt Richter.

Gemüseanbau und Schweinezucht

Wohlfühlen scheint seit jeher die Maxime des Hospitals inmitten des ausgedehnten Wald- und Erholungsgebietes zu sein - auch für die Ärzte. Diese konnten nämlich bis in die 80er Jahre nach der Arbeit auf drei Plätzen Tennis spielen. Auch das ist heute kaum noch vorstellbar. Ähnlich wie die Situation nach dem Krieg: Die Russen hatten das Haus in einem schlimmen Zustand hinterlassen, der Keller etwa sei voll von Fäkalien gewesen. Es mangelte an allem. Schwestern und Ärzte spendeten ihr Blut, um im Gegenzug Lebensmittelkarten zu bekommen. Wegen der problematischen Versorgungssituation wurden in der Gärtnerei auf der Südseite des Krankenhauses Gemüse angebaut und Schweine gezüchtet. Ab 1948 sei es vor allem der Leitung von Chefarzt Kurt Vogel zu verdanken, dass das Hospital als „Stadtkrankenhaus Dölauer Heide“ beziehungsweise „Waldkrankenhaus Dölau“ seine erste Renaissance erlebte.

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Knapp 30 Jahre später war davon nicht mehr viel übrig. Im Jahr 1976 kam die Tochter des Architekten, Erika-Ruth Brunotte, zu Besuch ins DDR-Bezirkskrankenhaus. „Es war in einem grässlichen Zustand“, erinnerte sie sich später.

Ein Zustand, den auch der wohl berühmteste Patient des Krankenhauses miterleben musste: der evangelische Pfarrer und Oppositionelle Oskar Brüsewitz. Im August 1976 übergoss er sich in Zeitz aus Protest mit Benzin und zündete sich an. „Warum er zu uns ins Krankenhaus gebracht wurde, kann ich nur mutmaßen“, sagt Richter. „Wahrscheinlich um die Aufmerksamkeit um ihn möglichst gering zu halten.“ Eine Rundum-Bewachung, die Richter so zuvor noch nie gesehen hatte, soll es an den wenigen Tagen, die Brüsewitz noch hatte, gegeben haben. Vier Tage später war der Pfarrer tot.

Eisbären und Krankenhaus?

Nach der Wende erlebte das Krankenhaus seine zweite Renaissance. Als einer von 30 Bewerbern erhielt das Diakoniewerk Martha-Maria den Zuschlag als Träger und begann Ende der 90er Jahre mit Umbau und Generalsanierung. Zur Fertigstellung vor drei Jahren wurden unter anderem die beiden zwei bis drei Meter hohen, von der Bildhauerin Elisabeth Howey geschaffenen Plastiken „Martha und Maria“ auf dem Krankenhaus-Vorplatz enthüllt. Der Kommentar eines Gastes lässt Richter bis heute schmunzeln: „Das ist ja alles ganz hübsch geworden, aber was haben denn die Eisbären mit dem Krankenhaus zu tun?“

Christian Richter stellt sein Buch am 15. April um 20 Uhr im Waldhotel, Otto-Kanning-Straße 57, und am 7. Mai um 19 Uhr im Gemeindehaus, Franz-Mehring-Straße 9b, vor. (mz)

Ohne Mundschutz oder Handschuhe musste auch Chefarzt Kurt Vogel (Mitte) noch bis in die 50er Jahre operieren.
Ohne Mundschutz oder Handschuhe musste auch Chefarzt Kurt Vogel (Mitte) noch bis in die 50er Jahre operieren.
Privat/ Richter Lizenz
Das Foyer des Waldkrankenhaus Dölau um 1940: Der Marmor aus römischen Travertin war ein Geschenk Mussolinis.
Das Foyer des Waldkrankenhaus Dölau um 1940: Der Marmor aus römischen Travertin war ein Geschenk Mussolinis.
Privat/Richter Lizenz