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Zurückgetretener Ortsbürgermeister Markus Nierth Zurückgetretener Ortsbürgermeister Markus Nierth: Tröglitz ist kein "braunes Nest"

13.03.2015, 06:28
Kämpft für ein friedliches Miteinander in Tröglitz: Markus Nierth beim MZ-Gespräch in seinem Haus
Kämpft für ein friedliches Miteinander in Tröglitz: Markus Nierth beim MZ-Gespräch in seinem Haus Hartmut Krimmer Lizenz

Elsteraue - Das Festnetztelefon, sein Handy, das seiner Frau: Markus Nierth umgibt permanentes Gebimmel - der Sound eines Medienhypes. Der begann vor fast einer Woche, als die MZ berichtete, dass der 46-Jährige seinen Job als Ortsbürgermeister in Tröglitz aufgibt, weil er sich im Konflikt mit der NPD alleingelassen fühlt. Der Theologe und Trauerredner wurde in Eisleben geboren, wuchs in Weißenfels auf und lebt mit Frau und sieben Kindern in einem alten Gasthof. Mit ihm sprach MZ-Redakteur Kai Gauselmann.

Herr Nierth, Sie fühlten sich von der übergeordneten Politik alleingelassen. Wie fühlen Sie sich jetzt?

Nierth: Es haben sich einige Politikgrößen zu Wort gemeldet. Mich und meine Familie beeindrucken aber mehr die Reaktionen hier vor Ort: Viele, herzliche, echt gemeinte spontane Besuche, auch von Leuten, die sich sonst nicht so aus der Deckung trauen. Oder Leute, die Blumen abgeben und Briefe einwerfen. Das hat meine ganze Familie sehr gerührt.

Ist die Politiker-Solidarität eher eine professionelle und die kleine vor Ort die authentischere?

Nierth: Hätte ich fast so bestätigen können. Aber die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi war sehr hartnäckig, bis sie mich erreicht hat. Mit der habe ich dann sehr lange reden können - und die hat mir auch wirklich zugehört. Das war authentisch, das hat mich beeindruckt.

Wer hat noch angerufen, Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU)?

Nierth: Nein, das ist auch nicht nötig. Der hat bestimmt Besseres zu tun. Ich hätte mich aber gefreut, wenn ich eine persönliche Rückmeldung vom Innenminister Holger Stahlknecht und Landrat Götz Ulrich bekommen hätte. Aber vielleicht kommt das noch.

Die Solidarität der vergangenen Tage - ist die nur gut für Ihr Seelenheil gewesen oder sehen Sie auch eine positive Wirkung für das eigentliche Problem?

Nierth: Was mich Sonntag noch seelisch sehr belastet hat, war das Gefühl, ohne Schutz zu sein. Jetzt gibt es einen Erlass, wodurch ehrenamtliche Bürgermeister geschützt werden können. Das ist toll. Als ich das gelesen habe, habe ich bei Facebook drunter geschrieben: „Die Demokratie hat gesiegt.“

Ministerpräsident und Innenminister meinen, Sie hätten sich auch direkt an sie wenden können. Warum haben Sie das nicht gemacht?

Nierth: Ich habe mich beim Landkreis gemeldet. Herr Ulrich hat auch schnell Kontakt aufgenommen. Man nimmt sich doch als kleiner Ortsbürgermeister nicht heraus, die große Politik anzurufen. Soviel hatte ich von der Einhaltung des Dienstweges schon gelernt.

Auf der nächsten Seite geht das Interview mit Markus Nierth weiter.

Sie stellen sich vehement gegen den Pauschalverdacht, Tröglitz sei braun. Weil es so ist - oder weil Sie Angst haben sonst als Nestbeschmutzer gemobbt zu werden?

Nierth: Nee. Ich kenne meine Tröglitzer. Ich weiß, wie viele NPD gewählt haben, das sind nicht mehr oder weniger als woanders. Aber ich kenne die Menschen mit ihren Sorgen, auch durch meinen Beruf als Trauerredner lerne ich viele Lebensgeschichten kennen mit all den Brüchen. Ich habe Demut gelernt gegenüber dem ganz „einfachen“ DDR-Leben. Da sind schwerwiegende Brüche in vielen Lebensgeschichten passiert. Es sind nicht nur Arbeitsplätze weggebrochen, auch die eigene Identität. Über Nacht war die Welt, auch die Diktatur, in der man sich eingerichtet hatte, auf den Kopf gestellt worden. Das hat Verletzungen in den Herzen hinterlassen. Das ist nach meinem Empfinden ein Grund, weshalb es jetzt aus den Menschen so herausbricht, wenn ein neuer gesellschaftlicher Umbruch ansteht. Deshalb ist es nach meinem Empfinden kein Wunder, dass dies sich auch in Form von Pegida ausdrücken wollte.

Also ist Tröglitz überall?

Nierth: Ich bin kein Soziologe. Nach meiner bescheidenen Vermutung ist das ostdeutschlandweit so. Meine Landsleute haben sich nicht nur die D-Mark und die schönen Autos gewünscht. Sondern auch ein echtes Verstehen durch die Westdeutschen, die nicht nur die äußeren, materiellen Nöte der Ostdeutschen sehen und sie etwas gängelnd da herausführen, sondern zunächst erst einmal die Verletzungen und Existenzängste wahrnehmen, die Menschen tröstend an die Hand oder in den Arm nehmen. Stattdessen sind Dinge passiert, etwa dass die gutgläubigen, unerfahrenen Leute bei Verträgen knallhart über den Tisch gezogen wurden. Mit Schmerzen im Herzen und Tränen in den Augen kann man die blühenden Landschaften auch nicht sehen. Den Leuten fehlt die Freiheit im Herzen, offen zu sein, jetzt, wo es wieder einen Umbruch gibt und Fremde kommen. Stattdessen haben die Leute Angst, dass ihr Leben wieder umgekrempelt wird und sie noch einmal die Verlierer sind.

Nach Tröglitz kommen 40 Flüchtlinge, kann man da wirklich von Umkrempeln sprechen?

Nierth: Realistischerweise nicht. Aber wir sprechen hier ja über Ängste. Meine Bürger fühlen sich nicht abgeholt und nicht verstanden, weil sie nicht früh genug „durch die da oben“ informiert worden sind. Es gibt berechtigte Fragen und Sorgen und wenn man die rechtzeitig ernst nimmt und beantwortet, ist auch die Luft aus den Demonstrationen raus. Stattdessen hat dann hier die NPD übernommen.

Die Flüchtlinge kommen jetzt. Was muss passieren, damit sie und die Tröglitzer friedlich miteinander leben können?

Nierth: Es ist gut, dass durch den Burgenlandkreis ein Sozialbetreuer gestellt wird. Der ist nur für die Asylbewerber da. Wir brauchen aber auch einen Integrationsbetreuer, der die Ehrenamtlichen hier koordiniert. Das wird nötig sein, weil wir keine gewachsene Sozialstruktur haben, in der sich die Ehrenamtlichen automatisch einbringen. Wir werden liebevolle Gesten des Willkommens erleben und Leute werden Kontakt mit den Flüchtlingen aufnehmen. Das wird aber nicht reichen.

Das klingt ungebrochen engagiert - treten Sie vom Rücktritt zurück?

Nierth: Nein, ich muss erstmal durchschnaufen. Ich sehe auch noch keine Lösung für die Probleme. Aber natürlich, mit dem Herzen bin ich auf alle Fälle weiter dabei.

Seit einer Woche tobt um sie herum ein Mediensturm - was war die schrägste Anfrage?

Nierth: Das geht hier im Viertelstunden-Takt. Gerade hat die New York Times angerufen. Dem dänischen Fernsehen konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen: „I’m a big fan of the Olsen-Bande“.

Warum machen Sie das alles mit?

Nierth: Mir geht es darum klar zu machen, dass Tröglitz kein braunes Nest ist. Ich bin auch das Kämpfen für Wahrheit und Gerechtigkeit gewöhnt. Das klingt jetzt sehr theatralisch. Aber ich bin in der DDR quasi in eine Oppositionsrolle hineingeboren worden, weil mein Vater Pfarrer war. Als kleinen Jungen hat mich mein Vater gefragt, ob ich nicht doch zu den Jungen Pionieren will. Da habe ich gesagt: „Nö, Papa, ich bin doch gegen den Staat und für die Kirche.“ Zu argumentieren und zu kämpfen bin ich seit meiner Kindheit gewöhnt. Jetzt war nur zu viel, dass meine ganze Familie in den Fokus geriet und ich dabei fast alleine war.

(mz)